Lichtreiche Schatten

Floris M. Neusüss zum 80. Geburtstag

von Klaus Küster

Nüsüss (rechts) mit Thomas Rother am 10.12.16 im ZKM Karlsruhe - Foto © Rupert Fischer-Miesbach

Floris M. Neusüss, dem Künstler, Lehrer und Historiker
der „lichtreichen Schatten“ zum 80. Geburtstag
 
Von Klaus Küster
 
Floris M.Neusüss wurde am 3. März 1937 in Lennep geboren. Aus seiner Schulzeit gibt es aus dem Jahre 1953 eine von ihm – der damals noch Schüler am Lenneper Röntgen-Gymnasium war – aufgenommene Fotografie, welche ein hochformatiges schwarzes Rechteck zeigt, in dem wenige weiße Linien andeuten, daß es sich um eine Tür handelt, die einen Spalt breit geöffnet ist. Die Tür selbst ist ebenso wenig zu sehen, wie der Raum, in dem sie sich befindet. Nur das Licht, in diesem Falle ein intensives Gegenlicht, läßt uns den Schlüssel finden, den unsere Erfahrung und unsere Phantasie bereit hält, um uns die Räumlichkeit der Dinge zu erschließen. Diese nur auf Lichtlinien reduzierte Aufnahme wirkt heute auf mich wie ein früher Auftakt zum großen Licht-Opus dieses Künstlers, der wie kein anderer die Kunstgeschichte der letzten Jahrzehnte als Lichtbildner, Forscher, Lehrer und Historiker der Fotogramm-Thematik bereichert hat. Noch als Schüler machte er 1954 in der Foto-Arbeitsgemeinschaft des Röntgen-Gymnasiums seine ersten Erfahrungen mit der Fertigung und Gestaltung von Fotogrammen.
 
     Interessierte Besucher der städtischen Galerie in der Scharffstraße nahmen 1998 die Gelegenheit wahr, einen umfangreichen Querschnitt aus dem Fotogramm-Schaffen von Floris M. Neusüss kennen zu lernen. In der Graphothek der Remscheider Stadtbibliothek kann man immer noch Werke von Floris Neusüss gegen ein kleines Entgelt für 3 Monate ausleihen. Klassische Fotogramme sind Bilder, die durch Belichtung ohne Fotoapparat in einer Dunkelkammer entstehen. Der Schatten eines kurzzeitig beleuchteten Objekts bleibt hierbei auf einem lichtempfindlichen Papier (fotografisches Material) nach dem Entwicklungs- und dem nachfolgenden Fixier-Bad als weiße Silhouette, ja als die Spur des Objekts in dunklem Umfeld erhalten. Zum Vergleich denke man z.B. an die helle Spur eines Kleidungsstückes im geröteten Hautumfeld nach einem Sonnenbrand.
     Die Fotogramm-Methode entstand am Anfang der Fotografie-Geschichte. William Fox Talbot praktizierte sie um 1834-1835 in seinen „photogenischen Zeichnungen“ indem er Pflanzenteile auf – zuvor in einer Silbernitrat-Lösung lichtempfindlich gemachte – Papiere legte und diese dann belichtete. Diese lichtbildnerische Praxis wurde in den folgenden Jahrzehnten vornehmlich in der wissenschaftlichen Forschung u.a. für Archive angewandt. Erst im 20. Jhdt. diente sie auch Künstlern wie z.B. Christian Schad, 1919 in der „Schadographie“, Man Ray, 1922 in der „Rayographie“ und dem Bauhaus-Künstler Lászlò Moholy-Nagy, 1922 im „Luminogramm“, als bildgebendes Verfahren.
 
     Neusüss begann sein Studium mit Wandmalerei bei Ernst Oberhoff an der Wuppertaler Werkkunstschule (einen Studiengang Fotografie gab es damals in Wuppertal noch nicht). Es folgten weitere Studien an der Bayrischen Staatslehranstalt für Fotografie bei Hanna Seewald in München und bei Heinz Hajek-Halke an der Hochschule der Künste in Berlin. Seine zwischen 1958 und 1960 in München entstandene früheste Werkgruppe ist noch weitgehend von der Kamera-Fotografie geprägt. Sie umfaßt Belichtungsmontagen mit großer Kamera, Doppelbelichtungen auf Glas-Negativen, Landschaften und Portraits. Ab 1960 entstanden in München, Wien und Berlin seine ersten 2,60 m hohen, lebensgroßen Körperfotogramme. Sie beeindruckten L. Fritz Gruber so sehr, daß er diese Aufsehen erregenden Arbeiten 1963 auf der Kölner photokina-Bilderschau präsentierte. In den folgenden Jahrzehnten entstehen Weiterentwicklungen der Körperfotogramme. Von 1972 bis 2002 war Neusüss Professor für experimentelle Fotografie an der Kunsthochschule in Kassel. Dort gründete er die Hochschulgalerie sowie die Sammlung und die Edition „Fotoforum Kassel“.
 

...mit Künstlergepäck ab nach Kassel - (könnte auch mit Selbstauslöser entstanden sein) 

     1984 wird sein Garten bei Gewitter zur „nächtlichen Dunkelkammer“. Seine ersten „Gewitterbilder“ entstehen nach dem Positionieren von Fotopapier auf und zwischen Pflanzen erst dann, wenn sie durch die Helligkeit des Gewitterblitzes belichtet werden (dann aber ab damit in die Dunkelkammer zur Entwicklung). Mehr und mehr verlagert Neusüss 1987 seine Fotogramm-Arbeit aus dem Studio an nächtliche Orte im Freien. In diesen „Nachtbildern“ ergänzen sich Natürliches und Künstliches zu einer kompositorisch spannenden Uneindeutigkeit. Wind, Wetter, Flora und Fauna werden auf dem dort ausgebreiteten Fotopapier zu Akteuren einer niemals zuvor gesehenen Wirklichkeit, für deren unmittelbare „Beseelung“ der Blitz zuständig ist. Das Katalogbuch Floris Neusüss, Nachtstücke Fotogramme 1957 bis 1997 herausgegeben von Klaus Honnef mit Texten von Peter Cardorf, Klaus Honnef, und Herbert Molderings (160 S.) erschien 1997 im Rheinland-Verlag GmbH Köln.


Prinzip Fotogramm, Kassel 1972
(Neusüss bei der Arbeit am Körper-Fotogramm,
könnte auch mit Selbstauslöser entstanden sein

 
     In den 80er Jahren entstehen weitere Fotogramme von Pflanzen, Blüten und Früchten sowie zahlreiche Fotogramme anderer Objekte. Ab 1989 beginnt seine Arbeit an der besonders umfangreichen Werkgruppe der „ULO´s“ (Unidentifiable Lying Objects). Hierzu darf ich aus berufsethischen Gründen und weil auch Spaß sein muß, höchstens andeuten, daß sie, die „ULO´s“ ein wenig mit Kellergeistern zu tun haben (die aufmerksamen Remscheider Ausstellungsbesucher haben sie 1998 gesehen) und ich deshalb den anderen empfehle, sich der folgenden Lektüre zu widmen: ULOs WUNDERBAR: (Hangout für Kunst und Philosophie) von Floris Neusüss und Peter Cardorf, (100 S.) erschienen im Parerga Verlag GmbH, Düsseldorf, 2000.
     1990 erschien im Kölner DuMont Buchverlag von Floris M. Neusüss in Zusammenarbeit mit Renate Heyne das bedeutende Standardwerk „Das Fotogramm in der Kunst des 20. Jahrhunderts – Die andere Seite der Bilder – Fotografie ohne Kamera.“ (500 S.) Hier erfahren wir nicht nur mehr über die Geschichte des Fotogramms und über die o.g. Künstler und ihre Praxis, sondern auch, wie und in welchem Zusammenhang z.B. Pablo Picasso mit Fotogrammen arbeitete. Weitere 150 Künstler sind in dieser Publikation mit etwa 400 Arbeiten vertreten.
 
      Zur Zeit findet im ZKM Karlsruhe, Zentrum für Kunst und Medientechnologie noch bis zum 5. März 2017 die Ausstellung Floris Neusüss und Renate Heyne: Leibniz´Lager aus dem Fotogramm-Archiv Heyne Neusüss statt.
 
Herzlichen Glückwunsch, lieber Floris Neusüss!