Deine blauen Augen kannst du nicht verstecken

„Krieg: Stell dir vor, er wäre hier.“ - Nach der Erzählung von Janne Teller

von Martin Hagemeyer

Foto © Karola Brüggemann

Deine blauen Augen
kannst du nicht verstecken
 
„Krieg: Stell dir vor, er wäre hier.“
 
Nach der Erzählung von Janne Teller als Bühnenstück
 beim Kinder- und Jugendtheater Wuppertal
 
 
Regie: Lars Emrich - Ausstattung: Laurentiu Tuturuga - Fotos: Karola Brüggemann
Es spielen: Yannick Bartsch, Jos Freudenthaler, Rahmatullah Hasani, Jeanne Knoke, Hossein Rezai, Drita Rrustemi, Soraya Sala, Tobias Uhl, Behzad Zafar
 
Flüchtlingsprojekte gibt es einige. Auch Geflüchtete selbst kommen inzwischen mit ihren Geschichten zu Wort und werben um Verständnis für ihr Hiersein. Die Schriftstellerin Janne Teller bringt da einen immer noch unerhörten Ansatz. Ihr Text „Krieg. Stell dir vor, er wäre hier“ mutet uns Europäern eine Rolle zu, die von der des hilfreichen Ehrenamtlers fast so weit entfernt ist wie von der des AfD-Wählers: Was, wenn heute Europäer fliehen müßten? Wuppertals Kinder- und Jugendtheater hat es mit klugem Konzept auf die Bühne gebracht.

Die Prosavorlage für Lars Emrichs Inszenierung entwirft ein europäisches Kriegsszenario: Quer durch den Kontinent haben Antidemokraten die Macht übernommen, und wie der 14-jährige Protagonist müssen Tausende ihre Heimat verlassen. Für die deutsche Ausgabe hat die Autorin, bekannt geworden mit „Nichts. Was im Leben wichtig ist“, es eigens in einen hiesigen Kontext versetzt; so sollte es direkter ansprechen als mit einer bloßen Übersetzung des dänischen Originals. Das Büchlein selbst ist nicht nur sorgsam illustriert, es sieht vor allem aus wie ein Reisepaß, in Farbe wie Format. Immer dabei, unerbittlich, eine Mahnung für die Westentasche.
All das paßt zum frechen Ansatz, denn direkt sind auch Clou und Zumutung dieses Gedankenspiels: Der Rollentausch bringt das Thema nah heran und nimmt in Kauf, auch Wohlmeinende zu irritieren. Bis hin zu bedrohlichen Szenen auf der Bühne im Berufskolleg: Ethnischer Zank im Flüchtlingslager? Stell dir vor, du bist mit Franzosen untergebracht, und vor deren Landsleuten bist du geflohen – der junge Deutsche hält sich nur mühsam zurück: „Irgendwann werde ich mich rächen.“

Regisseur Emrich kombiniert die Idee mit Mitteln, die zunächst manchem Migrationsprojekt dieser Tage ähneln: Menschen erzählen ihre Geschichte von Heimweh, Flucht, Verlust. Hier freilich sind darunter Akteure aus Osteuropa oder auch Wuppertal, und ihr Lieblingslied ist mal arabischer Hip-Hop und mal von Sascha Gutzeit. Grundprinzip ist demnach die Gleichstellung, beginnend schon mit den identischen Kostümen aller Spieler.
Für die Vermittlung des Textes ist das von einiger Bedeutung. Denn seiner Kernidee, dem Rollentausch, nimmt es im Grunde viel von ihrer didaktischen Wucht, und die Dramatik wird eine andere. Die Zwischenszenen unterbrechen Tellers Analogiespiel mit subjektiven Favoriten: Film- und Musikeinspieler, Dinge, die man liebt und besonders vermissen würde. Das füllt das halbe Stück und wirkt durch den persönlichen Bezug – umso mehr weil die Spieler die Figur von Flüchtling oder Fremdem verlassen, aber doch Bühnenakteur bleiben: Die eigene Stimme kommt vom Band, das Gesicht ist ernst und unbewegt. Einer ist seit vielen Jahren Ensemblemitglied und sagt, bei einer Flucht aus Wuppertal würde er vor allem seinen Beruf als Arzt vermissen. Einer führt vom Bühnenrand aus spektakuläre Kung-Fu-Kostproben vor, weil es das ist, womit er sich identifiziert. Für Tellers Volte bleibt ihr Text.
Der indes bleibt so instruktiv, daß er schon allein fürs Kennenlernen auf die Bühne gehört: „Du versuchst dich anzupassen, aber deine blauen Augen kannst du nicht verstecken" lautet so ein Satz, der Debatten um fremdes Aussehen (man denke ans „racial profiling“) auf den Kopf stellt, grell vor Augen führt, und zwar unsere eigenen. „Wenn es in Europa so schlimm ist – warum hilfst du nicht deinen Landsleuten?“ ist ein anderer. Und wenn die Forderung nach Anpassung sich einmal an Europäer im arabischen Exil richtet: Ist die deutsche Schülerin mit ihrem Ruf nach Aufklärungsunterricht dann eigentlich Integrationsverweigerin? Nicht etwa daß die Antwort „Ja“ lauten sollte – aber der Wechsel öffnet den Blick für die Fremdheit.
Doch wie gesagt: Tellers Tausch frappiert, aber beim Kinder- und Jugendtheater vermittelt er sich nicht mit der Brechstange. Ein Text mit Mission, aber vermittelt von Menschen. Ein allzu erhobener Zeigefinger entfällt durch ein eigenständiges Bühnenstück.
 
Weitere Informationen:  www.kinder-jugendtheater.de