Geschichts-Nachilfe

„Der junge Karl Marx“ von Raoul Peck

von Renate Wagner

Der junge Karl Marx
(Le jeune Karl Marx)
Belgien/Deutschland/Frankreich - 2017

Regie: Raoul Peck
Mit: August Diehl, Stefan Konarske, Vicky Krieps, Hannah Steele, Olivier Gourmet u.a.
 
Im nächsten Jahr ist Karl-Marx-Jahr, und das wird vielleicht noch explosiver als das Luther-Jahr (nicht nur, weil beide Herren Antisemiten waren – Marx ungeachtet seiner eigenen jüdischen Abstammung). Sie sind ja nun auch noch immer Idole für viele, was den Umgang heikel macht. Na, jedenfalls erwartet die Marx-Geburtsstadt Trier, wo er 1818 zur Welt kam, eine 30 Meter hohe Statue (!) als Geschenk – von China. Großausstellungen sollen Pilgerströme in Gang setzen. Zu einem Mann, den wir uns mit Rauschebart nur „alt“ vorstellen können.
 
Es ist ganz hohe „Biopic“-Zeit im Kino, meist für Damen. Jetzt ist Karl Marx an der Reihe, und zwar als junger Mann, Mitte 20, als er mit Gattin Jenny aus dem deutschen Köln geflohen ist, in Paris und dann Brüssel lebte und mit seinem treuen Adlatus Friedrich Engels schon grundlegende Schriften zum später so genannten „Marxismus“ verfaßte. Und man will gar nicht – weil man zufällig gerade eine Marx-Biographie gelesen hat – jetzt reklamieren, warum eigentlich der in dieser Zeit so wichtige Heinrich Heine in dem Film nicht vorkommt. Es geht schließlich, abgesehen von den populären Seiten der Marx-Geschichte (dafür steht vor allem seine unbändige Frau Jenny), vor allem um Nachhilfeunterricht fürs Kinopublikum. Und das soll man nicht mit zu vielen Informationen überlasten.
Marx brachte sich in Frankreich als Journalist mehr schlecht als recht über die Runden, wo immer er publizierte, waren Polizei und Zensur hinter ihm her, sowohl von französischer wie auch von preußischer Seite, wo man sehr wohl darauf achtete, was die Dissidenten im fremden Land unternahmen. Infolge seiner Überheblichkeit verliefen die Kontakt von Marx mit anderen radikalen Denkern (der Film nimmt sich da vor allem Pierre Proudhon, gespielt von Olivier Gourmet, vor, aber auch Bakunin und Weitling) stets konfliktreich. Immerhin entstand aus der Zusammenarbeit von Marx und Engels jenes „Kommunistische Manifest“, das später die Welt verändert hat.
 
Eines zeigt der Film übrigens sehr realistisch: Daß der Mann, der sich das Schicksal der Proletarier zur Aufgabe machte, sein Leben lang mit Geldproblemen zu kämpfen hatte und stets ein intellektueller Großbürger war. Der Fall Friedrich Engels lag noch „schlimmer“: Sein deutscher Vater, der im englischen Manchester gnadenlos seine Fabriken führte, die auf der Ausbeutung der Arbeiter beruhten (die Szenen in den Fabriken blenden am tiefsten in das Elend der „Massen“ dieser Zeit), war schwerreich, und Engels riskierte, wenn er sich lossagte – was er dann doch nicht völlig tat – seine Existenz. Zwei Herren der Weltgeschichte also, deren Namen meist im Doppelpack erscheinen, bei denen Theorie und Praxis ja doch auseinander klaffte. Das macht den Film von Raoul Peck (geboren in Haiti, aufgewachsen im Kongo, wohnhaft in Paris) nicht nur realistisch, sondern auch auf angenehme Art „menschlich“.
Übereinstimmend wird berichtet, welch unbeschwerter, brillanter, aber auch rücksichtsloser junger Mann dieser Karl Marx war, und das spielt August Diehl mit dem herrlichen Flackern der Überheblichkeit in den Augen, während Stefan Konarske der treue Adlatus einerseits, der widerspenstige Großbürger andererseits ist, der wirklich zu den Proletariern hinabsteigt und sich dort seine Frau, die rebellische Baumwollspinnerin Mary Burns (Hannah Steele), holt. Beide Darsteller sind für ihre Rollen vom Geburtsschein her um Jahrzehnte zu alt, leben aber davon, daß im 19. Jahrhundert auch junge Männer durch Bärte und Kleidung (Marx mit Zylinder) schlechtweg älter wirkten als eine Jeans-Generation.
Entscheidend im Leben von Marx war seine Gattin Jenny, die wahrlich emanzipierte Frau, eine Adelige, die einen mittellosen Juden heiratete, sich absolut auf seinem intellektuellen Niveau befand und vor allem seine kämpferische Attitüde teilte, wie alle Biographien über sie bestätigen: Vicky Krieps sprüht geradezu vor Temperament und Mutwillen, und das muß diese „rote Baronesse“ ausgezeichnet haben, sonst hätte sie das mühsame Leben an der Seite von Marx nicht gewählt.
 
Wer am Ende des Films Lust hat, noch mehr wissen zu wollen, als er in zwei ansprechenden, die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts unromantisch beschwörenden Kinostunden als temperamentvolle Historie erlebt hat, zieht sicherlich den richtigen Schluß aus dieser Geschichts-Nachilfe. Es gibt immer noch Bücher, aus denen man mehr erfahren kann.
 
 
Renate Wagner