Vor Erdnüssen, Titanwurz und Heuschnupfen

Stefano Mancuso – „Aus Liebe zu den Pflanzen“

von Robert Sernatini

Vor Erdnüssen, Titanwurz
und Heuschnupfen
 
Eine fremde Welt – die uns umgibt.
 
Die Neugier, die der Biologe Stefano Mancuso immerhin mit seinem wenn auch etwas oberflächlich gebliebenen Buch „Die Intelligenz der Pflanzen“ auf Forscher und Entdecker im Bereich der Botanik geweckt hat, wird durch sein neues Buch „Aus Liebe zu den Pflanzen“ auf unterhaltsame und informative Art befriedigt. In knapper, kompakter, dennoch anschaulicher Form stellt er 12 Botaniker, Genetiker,  Philosophen und Pflanzen-Liebhaber aus fünf Jahrhunderten vor, denen entscheidende Entdeckungen zu verdanken sind, die unsern Blick auf Pflanzen und das Wissen um ihre Natur, ihr Leben, ihre verblüffenden biologischen Mechanismen und nicht zuletzt ihre Nutzbarkeit für den Menschen entscheidend verändert haben.

Mancuso beginnt mit George Washington Carver, der vermutlich 1864 als Sohn von Sklaven in Missouri zur Welt kam. Durch unbändigen Lern- und Durchsetzungswillen schaffte er als erster Schwarzer eine höhere Schulausbildung und das Studium an zwei Universitäten bis zum Hochschulabschluß mit dem Bachelor in Agrarwissenschaften. Später selber Hochschul-Professor erforschte Carver uneigennützig die Nutzbarkeit der Erdnuß und der Tomate als menschliches Nahrungsmittel und ihre vielseitigen Einsatzmöglichkeiten. Bis zu seinem Lebensende entwickelte er Lebensmittelderivate, ohne daran verdienen zu wollen – alles stellte er der Allgemeinheit zur Verfügung. An seinem Todestag, dem 5. Januar 1943, ehren die Amerikaner ihn seiner Verdienste wegen alljährlich mit dem „George Washington Carver Recognition Day“.
Dramatisch verlief auch das Leben Nikolai Wawilows, der auf zahllosen Expeditionen in alle Welt Pflanzensamen beschaffte, um durch Forschung und Züchtung widerstandsfähige Arten zu entwickeln, um dem neuen, kommunistischen Rußland Nahrungssicherheit zu geben. Er legte in seinen staatlichen Instituten u.a. in Leningrad eine gigantische Samenbank von 200.000 Pflanzensorten an, die dafür die Basis sein sollte. Durch Intrigen wissenschaftlicher Gegner und Stalins Dummheit wurde Wawilow ins Gefängnis geworfen, wo er nach qualvollen Jahren im Januar 1943 verhungerte. Auch einige seiner Mitarbeiter, darunter Alexander Schukin, Georgi Krijer, Dimitri Iwanow und Lilija Rodina verhungern während der Belagerung Leningrads im 2. Weltkrieg – am Schreibtisch im Institut, wo sie Gelegenheit gehabt hätten, sich von den eßbaren Samen zu ernähren. Ihr wissenschaftliches Ethos war stärker.
 
Stefano Mancuso erzählt weiter, von Leonardo da Vinci und seinen Forschungen zur Phyllotaxis, zur Dendrochchronologie, zum Blattstand und zu den Jahresringen der Pflanzen und Bäume, von Ephraim Wales Bull, der durch die Entwicklung der schmackhaften, ertragreichen und widerstandsfähigen Concord-Traube als Vater der nordamerikanischen Weinproduktion gelten darf und von Marcello Malpighi, des Histologen und Anatomen, dessen Pflanzen-Anatomie und –Histologie wegweisend wurde.
Charles Darwins Erkenntnisse zur Koevolution von Pflanzen und Insekten und seine „Theorie zum Wurzelgehirn“ der Pflanzen werden angerissen, Goethes Suche nach der Urpflanze und dem einheitlichen Organisationsplan des Lebens und Odoardo Beccaris Entdeckung des Titanwurz (Amorphophallus titanium) mit der größten Blüte der Welt. Es sind, wie man sieht, einige Italiener unter den großen Entdeckern der Pflanzenwelt, so auch Federico Delpino, der die Myrmekophilie und die Pflanzenbiologie begründete und als erster den Pflanzen ein „Verhalten“ zumaß, sie damit auf die Stufe der Lebewesen hob. Wir lesen von dem Mönch Johann Gregor Mendel, dessen Vererbungslehre auf mathematischen Formeln basierte (und heute nicht ganz unangefochten ist), dem turbulenten Leben des Philosophen Jean-Jacques Rousseau, der sich (nicht nur) in die Pflanzenwelt verliebte und von Charles Harrison Blackley, der in der Nachfolge Heberdens, Bostocks, Roberts´ und Helmholtz´ den Heuschnupfen erforscht, definiert und in Selbstversuchen identifiziert.
 
„Aus Liebe zu den Pflanzen“ ist ein nützliches Buch zum Einstieg ins Thema und kann empfohlen werden.
Pflanzen werden noch da sein, die Erde zurückerobern, wenn der Mensch wegen seiner unfaßbaren Hybris, seiner Kriege, Habgier, Fortschrittsgläubigkeit und Fehlplanungen von der Natur als Fehler identifiziert und ausgerottet wurde.
 
Stefano Mancuso – „Aus Liebe zu den Pflanzen“
Geschichten von Entdeckern, die die Welt veränderten
Aus dem Italienischen von Christine Ammann
© 2017 Verlag Antje Kunstmann, 176 Seiten, gebunden, Schutzumschlag, mit 8 Farbseiten und vielen s/w-Illustrationen  -  ISBN 978-3-95614-170-6
lieferbar ab 15.02.2017
22,- €
 
Weitere Informationen:  www.kunstmann.de