Unser Augenmerk gebührt dem Opfer, nicht dem Täter

Ein Kommentar

von Ulli Tückmantel

Foto © Anna Schwartz
Unser Augenmerk gebührt dem Opfer,
nicht dem Täter
 
Von Ulli Tückmantel
 
Viele TV-Sendungen haben am vergangenen Freitag in großem Umfang teils live über eine Pressekonferenz berichtet, mit der der Vater eines Massenmörders ohne Rücksicht auf die Opfer am Jahrestag des Verbrechens die Schuld seines Sohnes in Zweifel zu ziehen versucht hat. Etliche Zeitungen werden den fragwürdigen Verschwörungstheorien, die dort vorgetragen wurden, am Samstag viel Platz einräumt haben. Wir beteiligen uns daran nicht.
 
Es gab und gibt erstens keinen vernünftigen Zweifel, daß der Co-Pilot des Germanwings-Fluges 4U 9525 am 24. März 2015 den Airbus A320-211 auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf in den französischen Alpen zum Absturz brachte und damit einschließlich seiner selbst 150 Menschen tötete. Die geschmacklose Inszenierung des Mörder-Vaters hat insofern keine weitere nachrichtliche Relevanz.
Bereits unmittelbar nach dieser bislang größten Katastrophe der deutschen Verkehrsluftfahrt seit Ende des Zweiten Weltkriegs haben wir dem Täter – überwiegend aus Gründen des Schutzes unbeteiligter Dritter in unserer Region – nicht mehr mediale Aufmerksamkeit eingeräumt, als nachrichtlich notwendig war, und daher auch weder seinen Namen genannt noch sein Bild gezeigt.
Wir haben uns zweitens in der Berichterstattung über die Germanwings-Katastrophe auf das konzentriert, was wirklich von öffentlichem Interesse war und ist: Wie stellt sich Lufthansa als Germanwings-Mutter ihrer Verantwortung? Was müssen die Airlines und der Gesetzgeber tun, um Passagiere künftig vor Katastrophen zu schützen, die im Cockpit verursacht werden? Und werden die Angehörigen und Hinterbliebenen der Opfer anständig behandelt?
Wir halten drittens eine täterorientierte Berichterstattung in der Folge von Amok- und Terror-Taten sowie ähnlichen Verbrechen grundsätzlich für falsch. Kein Mörder hat eine mediale Aufmerksamkeits-Belohnung verdient, die im schlimmsten Fall Nachahmer und heimliche Sympathisanten auf den Plan ruft. Unser Augenmerk gebührt dem Opfer, nicht dem Täter.
Und viertens: Der Vater des Germanwings-Mörders sucht nicht die Wahrheit. Er läuft vor ihr davon. Die Wahrheit ist ein Gedenkort in einer französischen Alpen-Gemeinde. Die Wahrheit sind 16 leere Stühle bei den Abitur-Prüfungen am Joseph-König-Gymnasium in Haltern. Die Wahrheit sind 149 ausgelöschte Leben. Und einer, der ihr Mörder war.
 

Der Kommentar erschien am 25. März 2017 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.