Gehört in den Kanon der deutschsprachigen Literatur

F.W. Bernstein – „Frische Gedichte“

von André POLOczek

Foto © André POLOczek
Rot, Gelb, Grün
schalten Ampeln in Berlin
[kein Bernstein-Reim]
 
F.W. Bernsteins Frische Gedichte
 
Das kann kein Zufall sein, daß ich das edel in Leinen gebundene Bändchen mit Goldprägeschrift eben so beiläufig wie zufällig aufschlage, auf Seite 53 lande und lese:
 
Dem Lyrikfreunde
So nimm denn, Freund, dir dieses Büchlein vor
und überprüfe Inhalt, Ton und Form.
Und wenn's der Worte wert ist, dann besprich es
als etwas Gutes oder Wunderliches.
 
Dein Urteil sei die Pforte meines Ruhms,
mein Niedergang, mein Absturz, mein Triumph.
Leg an dein Maß, und lass die Welt es wissen,
ob dieses Zeug saugut, ob es beschissen.
 
Persönlicher habe ich ein Gedicht selten genommen. Darum folgt hier – nach meinem Maß – eine sehr reduzierte Einordnung der jüngsten Bernsteinschen Lyrik. Dabei sei eingestanden, daß meine Breitwilligkeit, Gutes darin zu finden, groß war. Machen doch die „Frischen Gedichte“ meine Bernstein-Lyrik-Ampel komplett. Von oben nach unten geht die so:
Rot: Und aller Liebe wert, der im Antje Kunstmann Verlag erschienene Band: F.W. Bernstein - Die Gedichte. 345 Gedichte auf 600 Seiten. Das waren 2003 : alle!
Gelb: „Reimweh“ Gedichte und Prosa – in der Reclam-Universalbibliothek ist es die Nr. 9308 und macht klar, daß diese Texte in einen deutschsprachigen Kanon der Literatur gehören. (Wenn denn ein solcher Kanon überhaupt wünschenswert ist.)
Grün: Das ist das Update zu dem roten Buch und ebenfalls bei Kunstmann erschienen.
Und wenn das Grün  auch für frühlingshafte Frische stehen soll, dann ist die Farbwahl gelungen.
Daß der als Fritz Weigle in Göppingen geborene Groß- und Altmeister der satirischen Grafik und des komischen Reims im nächsten Jahr die 80. Wiederkehr seines Geburtstags feiert, kann nichts daran ändern, daß sein Zeug frisch ist. So wird, was zunächst antiquiert und altbacken daherkommt, in den Schlußzeilen als überkommen abgewatscht. Das eingangs zitierte Gedicht ist ein feiner Beleg für den überraschenden Schluß, der sich in vielen Bernstein-Gedichten finden läßt. Was im Angelsächsischen als „punchline“ bezeichnet wird, das ist eine Linie, die Bernstein zu ziehen weiß, wie wenig andere – in der Grafik, wie in seinem Schreiben. „Beschissen“ geht anders.

Wie meine Zeichnerei ohne F.W. B. aussähe? Was weiß denn ich? Und wie mein Schreiben? Keine Ahnung! Drum lasse ich die Welt wissen: Wer den Eindruck gewonnen hat, hier mache einer Werbung für seinen Professor, liegt richtig!
 
André POLOczek
 
F.W. Bernstein – „Frische Gedichte“
© 2017 Verlag Antje Kunstmann, 208 Seiten, Ganzleinen, Lesebändchen -  ISBN 978-3-95614-169-0
18,- € (D)
 
Weitere Informationen: www.kunstmann.de