Striptease

„Das Abschiedsdinner“ - oder: Wie man einen Freund loswird

von Frank Becker

v.l.: Michael Baute, Sabine Henke, André Klem - Foto © Martin Mazur 

Striptease
 
Das Abschiedsdinner
Komödie von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière
 
Inszenierung: Raik KnorscheidtBühne: Jan BauerdickKostüme: Mariola Kopczynski
Besetzung: Michael Baute (Pierre Lecoeur) – Sabine Henke (Clotilde Lecoeur) – André Klem (Antoine Royer)
 
Vor zwei Jahren hatte das Wuppertaler Theaterpublikum durch das TiC-Theater bereits das Vergnügen, eine Gesellschaftskomödie aus der Feder von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière zu erleben: „Der Vorname“. Von Raik Knorscheidt inszeniert, wurde das Stück damals zum mit Recht gefeierten Glanzlicht der Wuppertaler Theater-Saison. Jetzt legen TiC und Knorscheidt nach, indem sie mit den nämlichen Autoren zum „Abschiedsdinner“ einladen.
 
Gehen ihnen unsägliche Gewohnheiten, tumbe Redensarten und plumpe Vertraulichkeiten von „Freunden“ auf den Nerv? Wollten Sie nicht vielleicht auch schon einmal die Bande zu Menschen kappen, zu denen Ihnen auf eingefahrenen Gleisen im Lauf der Jahre und Jahrzehnte die vermeintliche Freundschaft abhanden gekommen ist, Kontakte abzuhaken, die Ihnen eigentlich nur noch lästige Routine und Verpflichtung sind? Dann sind sie hier richtig, gibt doch „Das Abschiedsdinner“ von Delaporte/Patellière eine Steilvorlage dafür. Oder vielleicht doch nicht?
 
Drei Personen, eine brenzlige Situation
 
Der Verleger Pierre (Michael Baute) erzählt seiner Frau Clotilde (Sabine Henke) von der Methode seines „Freundes“ Boris, für Freunde, die er loswerden will, ein glanzvolles Abschiedsdinner (u.a. mit Wein aus deren Geburtsjahr) zu geben, ohne daß die ahnen, daß sie zum letzten Mal bei ihm zu Gast sein werden. Begeistert von der Idee beschließen sie, es Boris nachzutun – Kandidaten gibt es - und wählen für den Anfang Bea und Antoine aus. Gazpacho und ein erlesener 1957er Rotwein stehen bereit, Pierre trägt sogar den mit Zebras geschmückten Bubu (Kaftan), den Antoine ihm einst aus dem Senegal mitgebracht hat (und den Mariola Kopczynski ihm auf den umfänglichen Leib geschneidert hat) und spielt dessen Lieblings-Ragas. Doch Antoine (André Klem) kommt allein, weil seine überdrehte schauspielernde Frau unbedingt an diesem Abend ein sechs Stunden dauerndes Straßentheater-Projekt durchziehen will.
Nach der bereits überzeugend witzigen Einführung, dem pointierten Vorgeplänkel des Ehepaars im ersten Aufzug wird André Klems knalliger Auftritt als selbstverliebter, geradezu klebrig anhänglicher Kumpel zum ersten einer nun folgenden Kette dramatischer Höhepunkte. Wie Pierre und Clotilde versuchen, sich die entscheidenden Worte zuzuschieben (wie nun sag ich´s meinem Kinde?), wie es ihnen eben nicht gelingt und wie Antoine, der von der Methode des „Abschiedsdinners“ bereits gehört hat und nun merkt, daß er „dran“ ist, entwickelt sich als ein Feuerwerk von Worten und Argumenten, List und Hintersinn. Wohl nicht rein zufällig präsentiert das Bühnenbild von Jan Bauerdick einige eingerahmte Ärsche. Abschiedsdinner? Nicht mit Antoine, der den Spieß umkehrt und Pierre in ein aberwitziges Rollen- und Kleidertausch-Spiel zwingt.


Raga - André Klem - Foto © Martin Mazur
 
Alles drin
 
Das Besondere an den Komödien von Delaporte/Patellière, so auch hier ist, daß in der richtigen Dosierung alles drin ist: fesselnder Mono-, Dia- Trialog, echtes Drama, burleske Szenen, Slapstick, derber Humor und vor allem intelligenter, scharfzüngiger Witz. Verzeihen Sie, wenn dieses Wort jetzt mehrfach vorkommt: es ist ein intelligentes Stück für intelligente Zuschauer, das ebenso eine intelligente Inszenierung wie intelligente Darsteller benötigt. Das gelingt Raik Knorscheid mit seinem hervorragenden Ensemble und choreographisch perfektem Timing a la bonheur. Wie schon beim „Vornamen“ daher mein Appell: nehmen Sie nicht ihre Kinder unter 14 Jahren mit in die Vorstellung – die wären noch nicht reif genug für dieses Stück.
 
Miteinander auf Augenhöhe schlüpfen alle drei Darsteller souveränin ihre Figuren, legen deren Verschüttetes frei, brechen Tabus, Vorsätze und Versprechen, überraschen mit punktgenauen Wendungen. Sabine Henke, Michael Baute, André Klem: ein Trio, das allein durch seine Namen bereits einiges verspricht, aber dann noch viel mehr hält. Henkes Clotilde fasziniert durch zurückhaltende Überlegenheit und sensible Entwicklung im Lauf des turbulenten Abends, Bautes evasiv salbadernden Pierre möchte man in seiner Hilflosigkeit und Feigheit ans Herz ziehen und Klems hinreißend verkörperten spinnerten Schwätzer Antoine wünscht man eins ums andere Mal in die Hölle. Charakterdarstellungen von Rang. Hier liefen am Premierenabend drei Schauspieler in bester Spiellaune zur Höchstform in einem brillanten Kammerspiel auf, von der Leine gelassen von einem umsichtigen Regisseur. Das ist allerbeste Unterhaltung, mit Witz, Biß und (s.o.) Intelligenz.
Wie das Psycho-Duell, das sich zu einem veritablen Dreikampf und (nicht nur) seelischen Striptease entwickelt ausgeht und zu wessen Vor- oder Nachteil, wie und ob und mit welchen Blessuren also die Beteiligten die Walstatt verlassen, werde ich Ihnen hier gewiß nicht erzählen. Sie sollten sich flugs eine Eintrittskarte sichern, am besten mit Partner/Partnerin an Ihrer Seite, denn hier lacht es sich zu zweit am besten.
Für das Gesamtpaket aus Stoff, Inszenierung und darstellerischer Brillanz erneut unsere Auszeichnung, den Musenkuß.

Versprochen: Sie werden diesen Abend genießen. Und noch eins: so werden Sie dieses Stück auf anderen deutschen Bühnen sicher nicht erleben. Und noch eins: wie man hört, hat sich das TiC-Theater bereits die Aufführungsrechte an Delaporte/Patellières drittem Stück gesichert. Schon mal vorfreuen.
 
Ca. 2 Stunden, 20 Minuten inkl. Pause
 
Weitere Informationen: www.tic-theater.de