Erst kommt die Macht…
Jean Paul Sartres „Die schmutzigen Hände“
am Schillertheater NRW Wuppertal
Als Jean Paul Sartre sein existenzialistisches Drama „Die schmutzigen Hände” um Macht und Kalkül 1948 auf die Bühne brachte, löste es einen Skandal bei den Linken aus.
Unverhohlen zeigte es Parallelen zu dem von Stalin befohlenen Mord an Trotzki und es riß die Epauletten der Schein-Heiligkeit von den Schultern der Kommunisten. Auch in der Aufführungsgeschichte finden sich Parallelen: So wie Brecht nach kürzester Zeit die Aufführung seiner „Maßnahrne“ verbot, weil er die Kontraproduktivität seines kommunistischen Kaderstücks erkannt hatte, sprach auch Marxist Sartre 1952 das Verbot der Wiener Inszenierung aus.
Gezeigt wird der Richtungsstreit innerhalb der Kommunistischen Partei des fiktiven Illyrien, das sich 1943 mit den deutschen Besatzern arrangiert. Parteiführer Hoederer (Siegfried W. Maschek) plant eine Allianz mit Konservativen und Monarchisten, um nach Kriegsende an der Macht beteiligt zu sein. Gegenspieler Louis (Gerhard Palder) sieht darin Verrat und plant die Ermordung Hoederers. Heißsporn Hugo (Thomas Höhne), ein intellektueller Idealist, soll ihn, als Sekretär eingeschleust, erschießen.
Regisseur Volker Lösch hat das Lächerliche in den von Sartre skizzierten Protagonisten aufgespürt und herausgestrichen, ohne sie lächerlich zu machen. Mit Augenzwinkern zeichnet er sie nach, karikiert kettenrauchende Polit-Aktivisten, finstere Verschwörer, Saufrituale zu Musik von Nina Simone und den komischen Machsimo einer Männergesellschaft, die letztlich auf den Fingerschnipp einer Frau reagiert wie der Pawlowsche Hund. Diese Frau ist Jessica, Hugos schöne Geliebte (Tessa Mittelstaedt), Inkarnation der Verführung und moralischer Unmoral, kokett, witzig, sinnverwirrend. Daß Hugo schließlich Hoederer erschießt, macht die Groteske, als die Hösch das Stück angelegt hat, komplett. Er tut es nämlich aus gekränktem Stolz, als er ihn mit Jessica unter dem Konferenztisch erwischt. Cary Gayler hat ein traumhaftes Bühnenbild dazu geschaffen. Mit einem mächtigen, sich in der gebogenen Tiefe der Bühne verlierenden Konferenztisch und endlosen akkuraten Stuhlreihen „stürzt“ der Raum perspektivisch, fast expressionistisch nach vorne auf den Betrachter zu. Wandpaneele und Leuchtkörper vermitteln den Geruch des real existierenden Sozialismus. Hier spielt sich die ganze Handlung vom Komplott bis zum Mord am Mörder ab, die absurden Ballette der Protagonisten, Saufereien und Machtspiele. Mit der Filmmusik aus „Pulp Fiction“ und der wie eine Kinoleinwand ausgeleuchteten Bühne entsteht zeitweise der Effekt einer Filmszene.
Das Ensemble zeigt sich in bester Spiellaune: Gerhard Palder als harter Apparatschik, Kathrin Höhnes Funktionärin Olga in ideologischer Wandlung, Hans Matthias Fuchs und Thomas Schrimm grotesk-burlesk. Unbestritten im Mittelpunkt Mascheks Hoederer, auch im ironischen Epilog, sowie Tessa Mittelstaedts Jessica in delikater Raffinesse. Sartres Fazit in Abwandlung von Brechts Dreigroschenoper-Finale: Erst kommt die Macht - und dann noch lange keine Moral. Theater von höchstem Rang.
17.3.2000
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