Und täglich grüßt das Murmeltier

Becketts „Glücklíche Tage” an den Wuppertaler Bühnen

von Frank Becker

Ingeborg Wolff
Und täglich grüßt das Murmeltier
 
„Glücklíche Tage” von Samuel Beckett
an den Wuppertaler Bühnen
 
Die Parabel vom Leben als Station auf dem Weg zum Tod ist Thema in Samuel Becketts Werk. Seine Reduzierung von Ausstattung, Personal und Bewegung stellt Text und Spiel ins Zentrum. „Glückliche Tage“ gibt dem inneren Monolog Winnies, einer Frau, die ihr bisheriges Leben zärtlich liebt, in unablässigem Geplapper ein Ventil, ein Stenogramm-Stakkato von Aussagefragmenten und Reflexionen.

Die intensive Lektüre der Beschriftung des Zahnbürsten-Stiels befriedigt den intellektuellen Hunger Winnies. Jeder Tag ist gleich. Erinnerungen ersetzen das aktive Leben, werden brüchig und lückenhaft: „Man vergißt seine Klassiker. Ein Teil bleibt einem übrig, über den Tag zu helfen“. Ihr akzeptierter Jetzt-Zustand, das Eingegrabensein bis zur Hüfte, im zweiten Akt einen kalten Schauder auslösend bis zum Hals, wird zur Metapher der Erstarrung und der Ereignislosigkeit, die dem absoluten Stillstand mit jedem Wimpernschlag näher rückt. Sie wird es durch ihren fatalistischen Optimismus nicht aufhalten, weiß in Anflügen von Resignation sehr wohl um das Kommende: „Bald blind. Genug gesehen.“ Und: „Geht zu Ende“, wie Lippenstift und Zahncreme. Nur noch mit Worten kann sie den hinfälligen Partner Willie hin und wieder erreichen. Zum höchsten Glück wird der stumme Austausch eines Blickes, bringt sie wieder über den Tag, den für himmlisch zu halten sie sich vormacht. Sie drückt eine „Alice-im-Wunderland“-Spieldose an die Brust und verliert sich verzückt in deren Melodie „Lippen schweigen“ aus Léhars „Die lustige Witwe“. Später, als ihr Körper und Hände nicht mehr gehören, singt sie die Walzer-Melodie in verzweifelter Hoffnung.
 
Ingeborg Wolff verleiht der Winnie in Gerd Leo Kucks Inszenierung erschütternd großartig Gestalt, versteht es, allein mit den Augen, der Sprache des Gesichts und der Melodie der Worte zu fesseln, beweist mit unerhört dichter Leistung hohen künstlerischen Rang. Nicht weniger grandios Hans Richter als Willie, der aus dem nur Minuten währenden wortlosen Auftritt am Ende des glücklichen Tages einen atemberaubenden Moment macht.
 
4.3.2002