Der Charme des Temporären

Das Wuppertaler Von der Heydt Museum zeigt in der Kunsthalle Barmen unter der Überschrift "Still on and non the wiser..."Street Art und Graffiti

von Frank Becker
Der Charme des Temporären

Wer hätte sich nicht schon fürchterlich über mit Graffiti besprühte S-Bahn-Wagen, Hauswände - oft da, wo sie von der Eisenbahn aus zu sehen sind - Garagentore oder Mauern geärgert. Wie eine Pest verbreitete sich der illegale Einsatz von Farbsprühdosen in Narrenhänden, die ihre Tags auf frisch gestrichenen Fassaden, Haltestellenhäuschen und Briefkästen schmierten, wie ein Straßenköter, der das Bein hebt, um sein Revier zu markieren. Und doch - schon bald kristallisierten sich aus der anonymen Masse von Nachtgestalten mit Kapuzenpullis wahre Talente heraus, die beachtliche Arbeiten schufen. Etliche lösten sich aus der Illegalität und begannen, ihre Kunst - den unzweifelhaft haben wir es hier mit einer Kunstform zu tun, die Vergleiche nicht zu scheuen braucht - offiziell und höchst kommerziell zu betreiben.

Einer, der diese Entwicklung schon seit fast 20 Jahren beobachtet ist der Hamburger Rik Reinking,

Daim - Foto © Antje Zeis-Loi
Sammler und Kenner der internationalen Street Art-Szene, der auf Einladung des Wuppertaler Von der Heydt Museums derzeit in den Ausstellungsräumen der Barmer Kunsthalle im "Haus der Jugend" eine ausgefallene, ja in ihrer Art wohl einzigartige Ausstellung kuratiert: "Still on and non the wiser... - Street Art, Graffiti". Wand- und Deckenfresken sind ja in der Kunstgeschichte nichts Neues, und um die vorige Jahrhundertwende hat die monumentale Wandmalerei, vornehmlich in Rathäusern und anderen öffentlichen Gebäuden eine späte Blüte erreicht, noch einmal aufgegriffen von der Kunst des Nationalsozialismus. Freigelegte Fresken im Wuppertaler Polizeipräsidium legen dafür Zeugnis ab. Und denken wir an die Lüftelmalerei Süddeutschlands, finden wir die kunstvolle Bemalung von Hausfassaden auch als traditionelle Volkskunst.

Neuartiges wird stets vom konservativen Publikum mit etwas Mißtrauen und Abstand betrachtet - bis es sich etabliert
und einen Stellenwert bekommen hat. Nicht anders war das mit dem polizeilich verfolgten und gerichtlich belangten "Sprayer von Zürich"  Harald Naegeli, nicht anders ist es mit dem Engländer "Banksy", dessen Wandbilder vermittels Brechstangen und Schweißbrennern aus den sie tragenden Objekten gestohlen werden und mittlerweile einen sechsstelligen Wert in Euro repräsentieren (!). Und genauswenig anders ist es mit den im Genre führenden Künstlern, die Rik

Stohead - Foto © Frank
Becker
Reinking für die Wuppertaler Ausstellung aus Südamerika, Spanien, Frankreich, China, der Schweiz und Deutschland geholt hat, damit sie ihre Kunst unmittelbar am Objekt, nämlich an den Wänden der Kunsthalle Barmen zeigen. Seit Anfang Februar sind Herbert Baglione, Daim (Mirko Reisser), Daniel Man, Miss Van, Os Gemeos, Pius Portmann, Stohead, Tasek, Tilt, Heiko Zahlmann und Zevs am Werk, dort ihre originellen Graffitis, Objekte, Fotos und Environments zu plazieren. Einmalig ist die Ausstellung schon deshalb, weil sie nicht wiederholbar, allenfalls per Foto dokumentierbar ist. Lediglich die transportablen Objekte entgehen der zwangsläufigen späteren Vernichtung, wenn die Wände der Ausstellungsräume später wieder Andorra-geweißelt werden... Oder vielleicht doch nicht? Also ich könnte mich nicht dazu finden, z.B. die phantastischen Märchenbilder Os Gemeos´ zu zerstören oder Daims explosiv-dynamisches Typo-Graffiti zu übermalen.

Museumsdirektor Dr. Gerhard Finckh, der unumwunden einräumt, bis vor kurzem nicht den blassen Schimmer von Street Art und Graffiti gehabt zu haben, vermag nichtsdestoweniger seine durch das Projekt entzündete Begeisterung am "Charme des Temporären" intensiv zu vermitteln. Es ist der

Baglione - Foto © Frank Becker
Funke des Vergnügens, der hier überspringt. Was sollen mir die Wurzeln der Graffiti-Kunst, die im gesellschaftlichen Widerstreit, im Protest oder in der politischen Botschaft gesucht werden. Was in Barmen gezeigt wird, ist pralles Leben, ist Freude an Farbe, wuchtigen Schwüngen, überbordender Phantasie, frecher Erotik und kühnen Entwürfen. Vor Os Gemeos´ dreidimensionalen märchenhaften Wandsprays auf hellem Grün kann man unendlich lange staunend, lachend, schmunzelnd verweilen. Will man herausfinden, woher der Künstler mit soviel Ideen, Gefühlen, Gedanken und Träumen aus der Welt eines Lewis Carroll kommt, kann man den Kopf-Würfel betreten, in dem er  in der Manier des unerreichten Edward Kienholz einen Raum eingerichtet hat, der seine Erinnerung an die Jugend zeigt.

Der sympathische Franzose Tilt hat die Welt mit einer kleinen Digitalkamera in der Hand bereist,

Tilt - Foto © Antje Zeis-Loi

Tilt - Foto © Alina Gross/alinka
junge Mädchen angesprochen und sie gefragt, ob sie sich für eine Fotostrecke bemalen und ablichten lassen. Die geradezu verblüffend offene Haltung der "Modelle", ihre Bereitschaft, sich auch bis zum Intimsten zu entäußern, belegt seine Foto-Serie mit Bildern aus Japan, Hongkong, Belgien, Deutschland, England etc., die höchst reizvoll die Offenherzigkeit einer neuen weiblichen Generation zeigt, die - vielleicht auch verführt durch die Warhol-Maxime "
In the future everyone will be world-famous for 15 minutes" - für diese Ziel ihre Körperlichkeit in die Bresche wirft. Geradezu umwerfend ist Daims typographischer Spray im letzten Raum der Ausstellung. Hier sehen wir Graffiti in Vollendung, das der Künstler (man muß sich das vorstellen) nach langem optischen "Scannen" (Rik Reinking) aus dem Raumgefühl freihand angelegt hat. Einfach wunderbar! Zu den Ursprüngen führt Tasik zurück, der im Eingangsbereich der Ausstellung die rekonstruierte Wand eines S-Bahn- Waggons aufgebaut hat, die zwei Sichtweisen ermöglicht: die "sichere" geborgene Innenseite, die der Fahrgast sieht und die in aller Gedächtnis verankerte, nächlich bunt besprayte Außenseite des Wagens, wie man sie aus New York, Berlin oder

Os Gemeos - Foto Alina
Gross/alinka
Sao Paulo kennt.

Am kommenden Samstag, 10.2.07, ab 22.00 Uhr wird in den Ausstellungsräumen zu einer öffentlichen Party, bei der bekannte DJs auflegen und ein Film zur Entstehung der Ausstellung gezeigt wird, eingeladen. Wenn dann am Sonntagmorgen, dem 11.2.07 die Exponate noch da bzw. unversehrt sind, eröffnen Bürgermeisterin Ursula Schulz, Rik Reinking und Dr. Gerhard Finckh die ungewöhnliche Präsentation offiziell. Mein Tip: auf jeden Fall ansehen! 

Weitere Informationen unter:
www.stillonandnonthewiser.com und
www.von-der-heydt-museum.de