150 Jahre Reclam Universal-Bibliothek

Eine Idee hat Geschichte gemacht.

von Frank Becker



Nr. 1 (1917)

         



In brauner Zeit (1936)




100 Jahre RUB (1967)

         



...und treiben mit den Heften Scherz (2000)


150 Jahre Reclam Universal-Bibliothek
 
Eine Idee hat Geschichte gemacht.
 
Mit dem „Faust I“ fing alles an. Den bis dahin überwiegend aufwendig gebundenen, oft edlen Ausgaben des Elementar-Dramas Johann Wolfgang von Goethes stellte der 1828 von Anton Philipp Reclam gegründete Leipziger Reclam Verlag im November 1867 - nach dem Erlöschen des Klassiker-Privilegs - eine einfach geheftete Taschenausgabe für zwei Silbergroschen = 7 Kreuzer gegenüber. Reclams Universal-Bibliothek (RUB) war ins Leben gerufen - eine Revolution im Verlagsgeschehen! Im handlichen Format und zum erschwinglichen Preis konnte nun jedermann große Werke der deutschen Literatur erwerben, denn in rascher Folge erschienen weitere Bände der RUB. Daß es ein wohldurchdachtes und von langer Hand vorbereitetes, bis heute einzigartiges und nach wie vor erfolgreiches Konzept war und ist, läßt sich schon daran erkennen, daß zum Jahresende 1867, nur zwei Monate nach dem ersten Heft, bereits 35 Bändchen vorlagen. Dem deutschen Literaturkanon folgten russische, nordische, französische Autoren, antike römische und griechische Literatur, Philosophie und Gesetzestexte. 1878 waren es bereits 1000 Nummern.
 
Es lag auf der Hand, daß diese günstigen Bücher für den Schulunterricht eingesetzt werden würden, wer erinnert sich nicht an die eigenen, gerne bekritzelten Exemplare und ihr mißhandeltes Schattendasein in den dunklen Tiefen der Schulmappe. Und wer muß nicht auch heute noch in stiller Selbsterkenntnis lachen, wenn die Oberprima in der Verfilmung von Heinrich Spoerls „Die Feuerzangenbowle“ aus den Reclam-Heften Schillers „Don Carlos“ betonungslos liest: „..sie wollen mich doch nicht (Umblättern) …ermorden.“ Das Museum für Gedankenloses hat die von Schülern durch die Jahrzehnte neu gestaltete Form des Kulturguts „Reclam-Heft“ in einer Ausstellung und zwei Bänden eines köstlichen Katalogs dazu dokumentiert - Stichwort Kabale und Liebe“. Übrigens: Die Feuerzangenbowle gibt es nicht bei Reclam.
Eine weitere Novität und Sensation ist 1912 die Einführung von Automaten zum Erwerb von RUB-Bändchen. 2000 davon werden bis 1917 im
öffentlichen Raum, auf Bahnhöfen, in Hotels, Fußgängerpassagen, auf Schiffen, in Badeorten etc. aufgestellt
und bis 1940 betrieben.
Daß während der gottlob nur 12 Jahre währenden Nazi-Diktatur sich das Verlagsprogramm den Auffassungen der braunen Machthaber beugen mußte (Heinrich Heine z.B. ist 1936 nicht mehr im Angebot, während Gotthold Ephraim Lessing noch zu haben war), gehört zu den unrühmlichen, wenn auch unvermeidbaren Kapiteln der Verlagsgeschichte.
 
Äußeres Erscheinungsbild, Gestaltung, Farbe und Buchschmuck der RUB haben sich im Lauf der 150 Jahre dem Zeitgeschmack folgend verändert. Dem mattem Rosenholzton und spätromantisch verschnörkeltem Dekor der Umschläge des Anfangs folgte nach einem halben Jahrhundert eine von Fritz Helmut Ehmcke gestaltete wie auf Säulen ruhende, etwas hellere Aufmachung mit dem Signet der Reihe auf dem Deckel. Die Fraktur-Schrift wurde 1947 durch eine von Alfred Finsterer entworfene Antiqua ersetzt, das Signet von ihm neu gestaltet. Ab 1967 erschien die RUB in einem gediegenen Elfenbein-Ton, bis in den 1970ern ein kräftiges Post-Gelb übernahm. „Die Welt in Gelb“ überschrieb der Verlag im Jahr 2012 auch folgerichtig seine Einführungsschrift zur Neugestaltung der verschiedenen angebotenen Reihen durch Friedrich Forssman und Cornelia Feyll.
Der Reclam Verlag und die RUB haben bis 1947 ihren Sitz in Leipzig behalten. In der Folge der deutschen Teilung verlagerten die Rechte-Inhaber ihren Verlagssitz nach Stuttgart, während in der DDR ein verstaatlichter Reclam-Verlag „Ost“ ein eigenes Programm entwickelte. 1980 zog der Stuttgarter Reclam Verlag nach Ditzingen um. 1992 wurde die Leipziger Sparte reprivatisiert. Beide Verlagshäuser arbeiten auch heute noch, jeder mit eigenem Programm. Das Angebot der RUB umfaßt jetzt, im Jubiläumsjahr, über 20.000 Nummern der mittlerweile unerhört vielfältigen Serien ihres Programms aus klassischer und zeitgenössischer Literatur, Sprache, Recht, Philosophie, Wirtschaft, Politik, Geschichte, Film, Musik etc. Gebundene Ausgaben in gediegenem Leinen kamen hinzu, wie die Klassiker des Feuilletons, ausgewählt von Hans Bender.

Der Reclam Verlag begeht die 150 Jahre RUB unter dem Motto
Gehaßt. Geliebt. Gelesen. mit einer Reihe von Sonderausgaben. Im kommenden Jahr kann der Verlag sein 190jähriges Jubiläum feiern.
 
Weitere Informationen:  www.reclam.de