Letztlich doch eine schöne, liebevolle Familiengeschichte

„Jahrhundertfrauen“ von Mike Mills

von Renate Wagner

Jahrhundertfrauen
(20th Century Women USA 2017)

Drehbuch und Regie: Mike Mills
Mit:
Annette Bening, Greta Gerwig, Elle Fanning, Lucas Jade Zumann, Billy Crudup u.a.
 
Es ist gar nicht so leicht, von einer Frau allein aufgezogen zu werden – das heißt, nicht ganz allein, sondern gleich von drei Frauen: Mike Mills hat davon einen solchen Schock fürs Leben davongetragen, daß er nicht nur einen Roman, sondern auch noch einen Film daraus machen mußte. Dieser nennt sich nun im Original „20th Century Women“ (Frauen des 20. Jahrhunderts) und spielt vordringlich in den siebziger Jahren. Heute totale Nostalgie, eine Welt ohne Handys und Computer, damals gar keine leichte Zeit. Schon gar nicht für einen 14jährigen Jungen zum heranwachsen in einem doch brodelnden Amerika, das als Ort des Geschehens das kalifornische Santa Barbara im Jahr 1979 wählt.
Da ist die Mutter Dorothea, nicht mehr jung (Annette Bening, ganz auf Normalfrau, ohne das Makeup der Kinoleinwand-Attraktivität), da ist die Fotografin Abbie (Greta Gerwig, die ihre exzentrische Ausstrahlung in den Genen hat) und schließlich die 16jährige Julie (Elle Fanning, blond, süß und hintergründig), die als ältere Schwester von Jamie (Lucas Jade Zumann) durchgehen kann, um den sich alles dreht – wenn es nicht vielmehr um die Frauen geht, die allesamt nicht mit normalen Maßstäben zu messen sind.
Vor allem haben sie genaue Vorstellungen von ihrem Geschlecht und davon, wie sie sich Männern gegenüber definieren. Ein bißchen viel für einen Jüngling, der mit den Lebenserfahrungen der Damen umgehen muß – und von Julie gerne Sex lernen würde. Aber ihre diesbezüglichen Ambitionen sind nicht für ihn, den sie wie einen Bruder behandelt, gedacht.
 
Einen „richtigen Mann“ als Vater-Bild hat Jamie nicht, denn Nachbar William (Billy Crudup, von den Damen auch sichtlich überfordert) ist alles andere als das übliche kraftvolle Mannsbild. Die freigeistige, kettenrauchende Mutter, im Leben über alles Mögliche (und die Männer) gestolpert und entsprechend mißtrauisch, in der Welt, in der sie lebt, nicht mehr ganz zuhause (was älteren Leuten gelegentlich passiert), will den Sohn einerseits zur Selbständigkeit erziehen, kann aber ihre Gluckenhaftigkeit nicht gänzlich unterdrücken.
Die Fotografin, die gegen den Krebs kämpft, ihren Feminismus nicht zuletzt verbal ganz schön rüde auslebt und versucht, den Alltag mit Polaroid-Fotos zu bewältigen (das ist schon als Vorläufer der Selfies und der schrecklichen Zentrierung auf das Ego zu verstehen) zeigt nur, wie schwierig das Leben ist.
Und das junge Mädchen – was erwartet sie vom Leben? Der Sex, den sie mit jungen Männern im Dutzend billiger absolviert, ist nämlich gar nicht so toll, wie sie Jamie erzählt, wenn sie mit ihm im Bett liegt – aber da wird nur geredet! (Wie ein Orgasmus sich anfühlt, kann sie ihm nicht sagen, weil sie noch keinen erlebt hat.)
Kurz, zusammen mit dem Jungen ist man als Kinobesucher angehalten, den Damen, die sich teils doch recht seltsam gebärden, mit einigem Staunen zuzusehen. Dazu hat Mike Mills (der ja seine Geschichte erzählt) viel der damaligen amerikanischen Gegenwart (für uns ist es schon Zeitgeschichte von einst) eingebracht: die Jimmy-Carter-Ära war nicht so harmlos, wie ihr Präsident dreinsah. Und wie damals noch geraucht wurde! Und wie wild es in der Pop-Szene von Los Angeles zuging!
Keine Frage, daß Mills – trotz der teils nervigen Zickigkeit, die er den Frauen gibt – diesen Film, wie er selbst sagt, als „Liebeserklärung“ an Mutter und die anderen Frauen seiner Jugend betrachtet. Nur ist ihm leider keine sehr spannende Geschichte gelungen, der Alltag rinnt in seinen Banalitäten vor sich hin, und trotz der zu Recht berühmten Darstellerinnen (vor allem Annette Bening, die man allerdings schon „packender“ gesehen hat) – so richtig im Kinosinn interessant wird es nie. Aber letztlich ist es ja doch eine schöne, liebevolle Familiengeschichte.
 
 
Renate Wagner