Tanzspektakel zwischen Bach und Hip-Hop Moves

Compagnie Hervé Koubi mit „Ce que le jour doit à la nuit“

von Daniel Diekhans

Compagnie Herve Koubi - Photo © Nathalie Sternalski

Tanzspektakel zwischen Bach und Hip-Hop Moves
 
 „Ce que le jour doit à la nuit“ (Die Schuld des Tages an die Nacht)
Tanzstück von Hervé Koubi im Teo Otto Theater
 
Künstlerische Leitung und Choreographie: Hervé Koubi - Kostüme und choreographische Mitarbeit: Guillaume Gabriel - Beleuchtung und Lichtdesign: Lionel Buzonie
Mit den Tänzern der Compagnie Hervé Koubi:
Lazhar Berrouag, Adil Bousbara, Mohammed Elhilali, Abdelghani Ferradji, Zakaria Ghezal, Bendehiba Maamar, Giovanni Martinat, Mohamed Medelsi, Nadjib Meherhera, Mourad Messaoud, Riad Mendjel, Houssni Mijem, Ismail Oubbajaddi, Issa Sanou, Ayoub Touabe, El Houssaini Zahid
Musik: Maxime Bodson, Hamza El Din & Kronos Quartett, Johann Sebastian Bach, Sufi-Musik
 
Choreograph erzählt von Kampf und Versöhnung -
Sechzehn afrikanische Tänzer sorgen für nachdrückliche Bilder
 
Eines will Hervé Koubi vor dem Auftritt seiner Compagnie klarstellen: Seine Tänzer sind nicht einfach nur Leute, die seine Ideen auf die Bühne bringen. Für den französischen Choreographen sind sie „meine gefundenen Brüder“ – und er sagt es auf Deutsch, damit ihn alle im Saal verstehen. Brüder nennt er die jungen Männer aus Algerien, Marokko und Burkina Faso, weil seine Familie selber nordafrikanische Wurzeln hat. Nur wußte Koubi, in Cannes geboren, dies bis zu seinem 25. Lebensjahr nicht.
 

Compagnie Herve Koubi -  Photo © Lou Damars

Diese Entdeckung, die all seine Gewißheiten umwarf, wurde zur Initialzündung für „Ce que le jour doit à la nuit“. Das 2013 uraufgeführte Stück benannte Koubi nach dem Roman von Yasmina Khadra, in dem ein algerischer Junge zum Franzosen erzogen wird. Dafür stellte Koubi ein denkbar „unklassisches“ Ensemble zusammen: Tänzer, die erfahren sind in robusten Stilen wie Street Dance und Hip-Hop.
In „Ce que le jour doit à la nuit“ sieht man zwar immer wieder in Amerika entwickelte „Moves“. Doch Koubi erzählt damit eine Geschichte, die sich eindeutig im Mittelmeerraum abspielt. Das Weiß der Kostüme erinnert an die charakteristisch weißen Städte diesseits und jenseits des Meeres. Hinzu kommt der konzentrierte Einsatz von europäischen, orientalischen und afrikanischen Klängen. Selbst wenn die Musik verstummt, sind da die sechzehn Tänzer, die wie ein Chor gemeinsam und rhythmisch präzise atmen. Mit weiten Hosen, Tüchern und nacktem Oberkörper wirken sie wie Ringer oder Seeleute. Sie zeigen ihr akrobatisches Geschick in Schaukämpfen, bei denen Tänzer auf- und übereinander springen und beim Drehtanz die Fäuste ineinander verhaken.
 
Spektakulär aber wird es, wenn sich die Tänzer in Derwische verwandeln. Gesänge islamischer Sufi-Mönche erklingen, während das Ensemble um die eigene Achse wirbelt, sich in die Luft schwingt und – als krönender Abschluß – den Kopf auf dem Boden dreht. Da bilden Sufi-Tanz und Hip-Hop eine Einheit, die man so noch nicht gesehen hat. Sein Pendant hat diese Performance zu der Szene, in der zu Bachs „Johannes-Passion“ getanzt wird. Spätestens hier wird klar, daß Brüderlichkeit das Sinnzentrum von „Ce que le jour doit à la nuit“ ist. Wieder wird gekämpft. Die Tänzer holen nach ihrem Gegenüber aus und verfehlen es nur knapp. Doch der Konflikt löst sich auf. Wenn zwei Tänzer zu den schmerzlichen Klängen von „Herr unser Herrscher“ einen „Verletzten“ in ihre Mitte nehmen und stützen, stellt sich das Bild von Jesus ein, der vom Kreuz genommen wird. Es ist nur eines von vielen nachdrücklichen Bildern.


Compagnie Herve Koubi - Photo © Ahmad Daghlas
 
Eingebettet ist die Geschichte von Kampf und Versöhnung in den Wechsel von Tag und Nacht, den Beleuchter Lionel Buzonie evoziert. Da steht gelbes Licht, gleichmäßig auf der Bühne verteilt, für den Morgen. Für die Sonne auf ihrem Zenit läßt Buzonie mehr als ein Dutzend Scheinwerfer leuchten und der aufgehende Mond leuchtet als einzelner Scheinwerfer hell, fast weiß auf.
Nach Akrobatik und Tanz, Musik- und Lichtchoreographie gibt es schließlich auch noch Text. Während die anderen Tänzer im Halbdunkel verharren, trägt einer auf Arabisch ein Gedicht vor. Übersetzt heißt sein Titel „Ich bin dahin gegangen.“ Geht es um den Tod? Der Rhythmus und der Klang der Worte sind jedoch so eindringlich, daß man eher an den Weg in ein neues Leben denkt.
 
Daniel Diekhans