„Ein Waldschrat von Instrument“

Carsten Müller bringt in „Der Kontrabaß“ die Qualen eines Nichtgeliebten nahe

von Frank Becker

Carsten Müller - Foto © Martin Mazur

Der Kontrabaß
oder
Dreckskasten!
 
Carsten Müller bringt die Qualen eines Nichtgeliebten nahe
 
Inszenierung und Bühne: Ralf Budde
Kostüm:
Mariola Kopczynski
Mit: Carsten Müller

„Ich hätt ja Geige lernen können, wen es so weit her ist,
oder Komposition, oder Dirigieren. Aber dazu reicht es nicht.
Es reicht gerade so weit, daß ich auf einem Instrument,
das ich nicht mag, so herumkratze, daß die anderen
nicht merken, wie schlecht ich bin."

 
Als 1981 Patrick Süskinds Monodrama „Der Kontrabaß“ im Münchner Cuvilliéstheater uraufgeführt wurde, war Nikolaus Paryla der namenlose Niemand hinter dem edlen Instrument, der sein tragisch leeres Leben, seine Haßliebe zu dem voluminösen hölzernen Corpus und seine hoffnungslose Verehrung für die junge Mezzosopranistin Sarah vor der Zuhörerschaft ausbreitete. Süskind hatte seinerzeit die Rolle für Paryla geschrieben, ihm auf die Natur sozusagen. Und Paryla war 140 Mal darin genial.
 
Seither hat es ungezählte weitere mehr oder weniger erfolgreiche Interpretationen gegeben, in denen zwar der Bogen in die Hand genommen, aber mangels musikalischer Ausbildung nicht geführt wurde. So in der aktuellen Inszenierung von Ralf Budde im Wuppertaler TiC-Theater, bei der der Pretschner-Bogen in Carsten Müllers engagierter Interpretation aus nämlichem Grunde zu allenfalls marginalem Einsatz kommt. So entgeht dem Zuschauer, was für ein lebendiges, dynamisches, klangvolles Wesen der Kontrabaß ist. Da helfen auch kurze Einspielungen von der Schallplatte nicht.
Carsten Müller, eine sympathische Erscheinung auf der von Ralf Budde sinnreich gestalteten Bühne, gibt den an seinem Instrument (ver-)zweifelnden Mittvierziger mit Emphase. Uneins mit sich und dem Schicksal, mit wachsender Resignation und zunehmender Aggression gegen den Kontrabaß, den er eingangs als die Stütze des Sinfonieorchesters, schließlich als drittklassiges Instrument („bloß Tuttist“) mit alles andere als schönen Tönen klassifiziert, ergibt er sich im einseitigen Dialog mit dem Publikum dem Kummer unerfüllter Liebe und dem Alkohol: „..sie erlauben, daß ich nebenbei Bier trinke, ich habe einen wahnsinnigen Flüssigkeitsverlust...“ (vom sehr volkstümlich reagierenden Publikum unnötigerweise mitgezählt und kommentiert).

Ein grauenvolles Instrument (...) wie ein fettes Weib - (...) zum Wahnsinnigwerden.
 
„Geboren wird man nicht zum Kontrabaß“, sagt unser Protagonist, und man sieht das mächtige Instrument dank seiner abfälligen Beschreibung mit einem Mal auf einer Ebene mit dem von Georg Kreisler so eindrücklich beschriebenen Triangel und seinem kleinmütigen Spieler. Seine empfindlichen Hände seien gar nicht dafür geeignet, wo er doch Posaunist hatte werden wollen. Und daß er überhaupt Musiker geworden ist, geschah aus Trotz gegenüber dem Vater, der ihn gerne als Beamten gesehen hätte. Nun, das ist durch die Einstellung in einem staatlichen Klangkörper dann dennoch wahr geworden. Doch so sehr der namenlos bleibende, gescheiterte Orchestermusiker im Staatsorchester den Kontrabaß als „Dreckskasten“ niedermacht, so eindrucksvoll lebt dieser dank der wunderbaren musikhistorischen Exkurse über Geschichte des Instruments, Klang und Kompositionen in Süskinds Text auf.
Ja, es gibt sogar Kompositionen für Kontrabaß, denken wir an das Konzert für Kontrabaß und Orchester von Johann Carl Ditters von Dittersdorf. Vergessen wir aber als Kontrast Wagner nicht. Wagner haßt dieser Orchestermusiker, der seit zwei Jahren keine Frau gehabt hat und die 20 Jahre jüngere, strahlende Sängerin Sarah aus der Ferne hoffnungslos liebt, so intim und mit eben der Gewalt, mit der Wagner auf den Hörer und noch ärger auf den Musiker einstürzt. Ditters ja, aber Richard Wagner? „Eine Partitur von Wagner strotzt von Unmöglichkeiten und Fehlern“ und „Wenn wir vor 160 Jahren eine Psychoanalyse gehabt hätten. Dann wäre uns beispielsweise von Wagner einiges erspart geblieben“.


Carsten Müller - Foto © Martin Mazur


Die andere Möglichkeit ist Kammermusik.
 
Und es gibt noch eine heimliche, ebenfalls unerfüllte Liebe: die zur Kammermusik. Zwischen den Porträts von Joseph Haydn, Franz Schubert, Johann Carl Ditters von Dittersdorf und Richard Wagner (!) hängt das gerahmte Notenblatt eines Streichquartetts von Schubert als Reproduktion eines Autographs an der Wand). Carsten Müller bringt dem aufmerksamen, nicht auf peinlich oberflächliche Lacher fixierten Betrachter das tiefe Leiden eines Gescheiterten, eines hoffnungslos in die Musik und Sarah verleibten Mannes. Er vermittelt bei allem eifrigen Redefluß, der im Aufschrei des Zorns gipfelt, die Leere und Einsamkeit dieses unerfüllten Lebens. Eine Tragödie.
 
Ein lesenswertes Programmheft begleitet den Besucher aufschlußreich ins Thema.
Besuchte Vorstellung: Premiere am 2.6.2017
Weitere Informationen und Termine: www.tic-theater.de