Theresa Mays Chaos-Kurs belastet auch die EU

Ein Kommentar

von Ulli Tückmantel

Foto © Anna Schwartz
Theresa Mays Chaos-Kurs
belastet auch die EU
 
Von Ulli Tückmantel
 
In zwei Tagen muß Theresa May den Ärmelkanal überqueren, um in Brüssel die Bedingungen des britischen Ausstiegs aus der EU zu verhandeln. Warum die planloseste aller britischen Premiers seit Frederick North (1732–1792, verlor die amerikanischen Kolonien) sich dazu vorher unbedingt ein fettes Leck ins Boot hauen mußte, weiß niemand – aber es ist ihr gelungen. Und das dürfte auch noch nicht der Höhepunkt des politischen Unvermögens sein, mit dem Großbritanniens Konservative der EU nun seit fast einem Jahrzehnt konzentriert auf den Wecker fallen.
 
     Das Elend der britischen Konservativen begann, wie der künftige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet am Donnerstag bei Twitter so treffend bemerkte, zum Schaden ihres eigenen Landes bereits 2009, als Mays Vorgänger David Cameron die EU-Abgeordneten seiner Partei zwang, die pro-europäische EVP-Fraktion zu verlassen. Was Europa und Großbritannien von da an mit Cameron erlebten, war bis zum Brexit-Referendum im vergangenen Sommer nichts als rücksichtslose Zockerei.
     Da die meisten anderen europäischen Regierungschefs die Mehrheit der Briten jedoch für verantwortungsvoller und weitsichtiger als ihren Premier hielten, ließen sie Cameron gewähren. Sie brieten ihm weitere Extra-Würste, statt ihm und seinen Anhängern klar vor Augen zu führen, wie abhängig Großbritannien von Europa ist. Das war ein Fehler, wie heute alle wissen.
     Da es jedoch nirgendwo einen Dummen gibt, der nicht einen noch Dümmeren hinter sich fände, wird das einstige Empire nun also von einer planlosen, sich selbst beschädigenden, mürrischen, beratungsresistenten und eigenbrödlerischen Regierungschefin in die Isolation und den Niedergang geführt, denn nichts anderes bedeutet der Brexit. May wird nachgesagt, sie habe sich im Falle eines Wahlsieges bereits auf der historischen Höhe von erfolgreichen Premiers wie mindestens Margaret Thatcher, eher aber noch wie Winston Churchill gesehen. Ihr hätte wohl wenigstens auffallen können, daß weder Thatcher noch Churchill aufgrund von Umfrageergebnissen ohne Not, ohne Plan und ohne Programm Neuwahlen vom Zaun gebrochen haben.
     Parteiintern ist Theresa May jetzt abhängig von den Brexit-Hardlinern, ihre Regierung stützt sich auf eine wenig verläßliche nordirische Rechtsaußen-Partei. Diesem fragilen Bündnis wird es kaum gelingen, die massiven Struktur-Defizite der britischen Wirtschaft in Angriff zu nehmen. Das Land leidet zudem unter einer nur mäßig kaschierten Bildungs- und Ausbildungsödnis, einem komplett kaputten Staatshaushalt, einem Gesundheitssystem, das für die meisten Briten kaum noch den Namen verdient, einer schlechten Altersvorsorge und einer mangelhaften Sozialhilfe-Finanzierung mit unzureichenden Leistungen. Daß die strauchelnde Theresa May geeignet ist, irgendetwas davon in den Griff zu bekommen, glaubt außer ihr eigentlich niemand.
     Das macht es nicht unwahrscheinlich, daß die Briten in wenigen Monaten erneut zur Wahl schreiten müssen; es wäre dann die vierte Parlamentswahl in drei Jahren, und danach könnte der britische Premier – schließlich geht es immer noch ein bißchen schlimmer – Boris Johnson heißen. Der frühere Bürgermeister von London, derzeitige Außenminister und unberechenbare Polit-Clown ist Mays schärfster Rivale im konservativen Lager.
     Das alles wäre für Großbritannien allein schon traurig genug. Aber den Schaden hat auch die EU: Sie wird auf der anderen Seite des Kanals in absehbarer Zeit weder verläßliche noch stabile Verhandlungspartner finden. Der Wuppertaler Bundestagsabgeordnete Jürgen Hardt, außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erklärte dazu am Freitag, spätestens nach der Aufnahme konkreter Verhandlungen mit der EU werde in Großbritannien deutlich werden, daß die Erwartungen der Brexit-Befürworter an die positiven Wirkungen eines Austritts nicht einmal annähernd erfüllt werden können. Hardt schlug vor: „Der Ausweg aus dem selbst herbeigeführten Dilemma könnte sein, daß die Mitglieder des britischen Unterhauses ihre Brexit-Strategie überdenken.“
 
     Das wäre vernünftig, aber Vernunft ist (nicht nur) der konservativen britischen Politik wesensfremd. Naheliegender ist, daß sich das Chaos fortsetzt und weiteres Chaos hervorbringt. Davon darf sich der Rest Europas nicht anstecken lassen, sondern muß einigermaßen mitleidlos gegenüber den Briten dafür sorgen, daß der Schaden für die EU so gering wie möglich bleibt – nicht nur in wirtschaftlicher, vor allem auch in strategischer Hinsicht in Bezug auf die europäische Sicherheitsarchitektur. Es ist nicht anders als im ganz normalen Leben: Bei einer Scheidung gibt es keinen Gewinner. Bei einer Scheidung wird lediglich die Verteilung der angerichteten Elendsfolgen geregelt.
 

Der Kommentar erschien am 10. Juni 2017 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.