Ein Abschiedsbrief im Wind

Michael Wildenhain - "Die schönen scharfen Zähne der Koralle" - Gedichte

von Frank Becker
Eigentlich ist alles einfach

Es ist äußerst wohltuend, zu sehen, daß Lyrik nicht nur bewahrt und gepflegt wird, sondern unter günstigen Bedingungen auch neue, schöne Blüten treibt. So mit dem neuen Gedichtband des Berliner Schriftstellers Michael Wildenhain (*1958), VDS- und PEN Deutschland-Mitglied. Vielfach mit Preisen, Ehrungen und Stipendien bedacht, führte deren jüngstes der Villa Concordia zu dem schlanken, nichtsdestoweniger gehaltvollen Bändchen "Die schönen scharfen Zähne der Koralle", in welchem Wildenhain ein Spektrum vieler Spielarten seiner Lyrik präsentiert. 

Takt

Die Tage waren aus Liebe
Der Himmel blau wie ein Tuch
Er sah bloß Licht roch dennoch
An ihr einen fremden Geruch

Das Aftershave im Kissen
Ihr Lächeln noch im Raum
Und wer wird dich vermissen
Arbeitskollegen kaum

Am Seil dreht sich der Körper
Ein Abschiedsbrief im Wind
Er wollte lang genug warten
Bis alle gegangen sind

 
Viel Wehmut schwingt in den Gedichten Wildenhains, eines erfahrenen Mannes, der bewegte Zeiten der 70er Jahre in Berlin miterlebt und offenbar manche Höhen und Tiefen des Lebens kennengelernt hat. Daß Liebe ebenso schmerzen wie entzücken kann, lernen wir zwar nicht erst von ihm, doch Michael Wildenhain findet neue Worte. Auch seine kleinen Alltagsbeobachtungen die in gewachsener Erfahrung wurzeln, blitzen aus überraschenden Blickwinkeln auf, und die Adaption von Märchen-Themen der Grimms, Hauffs und Bechsteins, der fröhliche Umgang mit der Oper und dem Kino sowie die unbeschwerte Anlehnung an lyrische Vorgänger wie Hölderlin, Trakl, Brecht, Rilke, Hesse, Kaléko und Handtke bereitet Vergnügen.

Nicht alles erfüllt den von Wildenhain selbst markierten hohen Standard seiner Lyrik - vieles dafür wiegt gelegentliche Schwächen bzw. Beliebigkeiten auf.

Drei Wünsche

Sie liegt auf dem Bett
Und er schaut sie an
Und seine Augen sagen
Was er ihr nicht sagen kann

Und ihre Augen sagen
Was sie von ihm hören will
Und der Morgen ist sperrig und leise
Und beide lauschen still

Dem Gesang der Räder aus Eisen
Der die Züge auf Gleisen begleitet
Und sie wird ohne ihn reisen
Es ist alles vorbereitet

Und so liegt sie vor ihm und lauscht
Dass die singenden Eisen enden horcht
Wie Wasser hinter den Wänden
In alten Bleirohren rauscht

Das schlanke, haptisch angenehme Buch drängt in die Jackentasche, zum Spaziergang und zur Lektüre auf der Parkbank. Das schwankende Eisenbahnabteil oder der Lesesessel zu Hause tun es aber auch.








 




Michael Wildenhain
Die schönen scharfen Zähne der Koralle
Gedichte



© 2007
Edition Villa Concordia, Bamberger Bände 3 - Verlag Fränkischer Tag, Bamberg

85 S., Leinen, 15,- €
ISBN 978-3-936897-45-6

weitere Informationen unter:
www.kulturatlas-oberfranken.de