Zwei Maler, ein Schriftsteller
und ein hin und her gerissener Korrespondent Norddeutsche Notizen von Andreas Greve
Als ich den Bus kommen sah, klappte ich das Buch zusammen, erhob mich von der Bank im Wartehäuschen und stellte mich am Kantstein auf, genau dort, wo sich die vordere Bustür öffnete. Um an das Kleingeld in der rechten Hintertasche meiner Jeans zu kommen, nahm ich das schwere Buch in die linke Hand, stieg ein und löste beim Fahrer einen Fahrschein für 2 Euro 20. Um aber das Ticket und das Wechselgeld entgegennehmen zu können, mußte ich mir den unhandlichen Tausend-Seiten Schinken unter den Arm klemmen. Die spitzen Ecken stachen in Muskeln und Weichteile, aber (Ende der Knausgård-Parodie) was tut man nicht alles für die Kunst. Ich war auf dem Weg in die Ausstellung „Ernst Eitner – Monet des Nordens“, über die ich für die „Musenblätter“ schreiben wollte, nachdem ich ein paar Wochen vorher bereits in der Pechstein-Ausstellung am Hamburger Rathausmarkt gewesen war. Zwischen den sehenswerten Bildern dort und der mehrfach vertagten Fahrt ins Jenisch-Haus im gleichnamigen Park im feinen Westen meiner Heimatstadt, ereilte mich das Schicksal in Form des sechsten und letzten Bandes des Monumentalwerks „Mein Kampf“ von Karl Ove Knausgård. Sein Schicksal wohlgemerkt. Mich ereilte es nur insofern, als zwei Ausstellungen in Hamburg wenig Schnittmenge mit einem Roman-Welterfolg bieten – es sei denn, man nimmt ihn mit in den Park. Ich war ungefähr auf Seite 400. Ich lese gerne Knausgård. Ich hatte auch die anderen fünf Bände gelesen, sogar in verschiedenen nordischen Sprachen, weil die Bücher in Norwegen und auch in Dänemark lange vor denen in Deutschland erschienen. Ich bin in der Zeit zwischen erstem und fünftem Band zweimal in Norwegen gewesen und war mir nicht zu blöde, in Bergen einige der Wohnadressen und Wirtshäuser auf dem – später dann beschriebenen – Lebensweg von Knausgård eigenfüßig aufzusuchen. Wenn man erstmal angefangen hat, Knausgård zu lesen, hört man nicht so leicht wieder auf, aber 1277 Seiten Hardcover sind als Handgepäck eher hinderlich und deshalb legte ich den Wälzer in jedem der Eitner-Ausstellungsräume auf der Fensterbank ab und erhaschte dabei stets einen anderen Blick in den großartigen, sonnenbeschienenen Landschaftspark, obgleich die Scheiben weitgehend abgeklebt waren. Hin und wieder ähnelten sich Motiv und Malweise drinnen und der Eindruck der uralten, aber absichtsvoll gepflanzten Bäume draußen, nicht zuletzt durch das Licht. Obwohl: Mir schien draußen öfter Monet zu sein als drinnen.
Der Stil im Park war konstanter, während Eitners Bilder uneinheitlich wirken. Großartige wechseln sich ab mit Kleinkarierten. Der 1867 geborene Tischlersohn „zählte zu den Gründungsmitgliedern des Hamburgischen Künstlerclubs von 1897 und gilt bis heute als das experimentierfreudigste Mitglied“. Die Ablehnung, auf die sie in der Hansestadt stießen, fand sozusagen 20 Jahre später statt als die Wellen, die Monets Malweise anfangs in Paris schlug. Eitners wirklich wunderbares Gemälde „Schilffeld an der Trave“ gewann 1894 im „Salon des Independants“ bei der Weltausstellung in Paris immerhin eine Silbermedaille. Aber für den Weltruhm hat es dennoch nicht gereicht. Für mich als Norddeutschen besteht sicher ein Reiz darin, zu sehen, an welchen Orten und in welchen Gegenden er seine Motive fand und wieviel und wie weit er doch in der Region herumgekommen ist. Obwohl er im Laufe seines Lebens auch noch zwei Weltkriege in seiner Biographie unterbringen mußte. Er verlor viele Gemälde 1943 bei den Bombenangriffen auf Hamburg. Ernst Eitner starb 1955, kurz vor seinem 88. Geburtstag. Ich ging hinaus in den Park und las Knausgård bis zum Ende des ersten Teils und übersprang dann 500 Seiten essayistischer Natur, wie sie in allen Büchern von ihm vorkommen, allerdings nie derart geballt (und schon gar nicht über Hitler). Erst auf Seite 925 setzte ich wieder ein „Als der Wecker klingelte, …“, denn da muß der Norweger von Malmö, wo er mit Frau und Kindern wohnte, nach Oslo, wo sein erstes „Mein Kampf“-Buch das Licht des Nordens erblicken sollte. Er hat natürlich Bammel. Ein guter Teil des sechsten Bandes handelt davon, wieviel Bammel er vor den Reaktionen auf sein Ausbreiten allerprivatester Details vor der Öffentlichkeit hat. Leben 1:1.
Für den bekannten und erfolgreichen Maler Max Pechstein war schon der Erste Weltkrieg eine harte Zäsur: Mit Hilfe von 10 000 Mark, die er von seinem Galeristen Gurlitt geliehen bekam, wollte er sich den Traum von der Südsee erfüllen. Er sollte die Summe in Bildern „abbezahlen“. Im Mai 1914 brach er auf zu den Palauinseln Mikronesiens. Der für zwei Jahre geplante Aufenthalt wurde durch den Kriegsausbruch jäh beendet. Die Rückreise dauerte fast ein Jahr. Die allerallermeisten Bilder aus der Südsee malte er aus der Erinnerung. Das steht in dem Katalog (Hirmer) mit den vielen Abbildungen natürlich etwas ausführlicher. Auch Pechstein starb übrigens im Jahr 1955.
Knausgård (*1968) aber lebt, wenn auch mittlerweile von seiner schwedischen Frau geschieden.
Langer Rede kurzer Sinn: Beide Ausstellungen, der Roman „Kämpfen“ und der Jenischpark sind sehr zu empfehlen!
„Max Pechstein. Künstler der Moderne“ im Bucerius Kunst Forum
http://www.buceriuskunstforum.de Ernst Eitner-Ausstellung bis 12. November 2017 im Jenisch-Haus
einer Dependance des Altonaer Museums
Karl Ove Knausgård - „Kämpfen“,
© 2017 Luchterhand Literaturverlag, 1277 Seiten, gebunden, Schutzumschlag - ISBN: 978-3-630-87415-9
29,- €
Redaktion: Frank Becker
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