Homo Ruhrpottinensi mit unangenehmem Beigeschmack

„Sommerfest“ von Sönke Wortmann

von Renate Wagner

Sommerfest
(Deutschland 2017)

Regie: Sönke Wortmann
Mit: Lucas Gregorowicz, Anna Bederke, Elfriede Fey u.a.
 
Es gibt Nostalgie, es gibt auch so etwas wie „Ostalgie“, und offenbar gibt es auch etwas wie „Ruhrpott-algie“. Immerhin konnte man einen ganzen Roman darüber schreiben, erfolgreich genug, um einen ganzen Film daraus zu machen, der von nichts anderem handelt. Er beginnt zwar kurz in München, sogar im renommierten Residenz-Theater, wo eine Aufführung der „Räuber“ läuft – aber dann wird der Darsteller des Karl Moor zum Telefon gerufen, und schon sitzt er, noch mit Schminkmaske (man hat ihm die Augen zorro-artig dramatisch gemacht) und Theaterklamotten im Zug: nach Bochum, sein Vater ist gestorben. Ab nach Hause…
 
Was weiß der Normalbürger, wenn er nicht zu den gut 350.000 Einwohnern der Stadt zählt, schon von Bochum, außer daß Peter Zadek und Claus Peymann dort einmal lautstark Intendanten waren? Aber – Theater? Das ist doch nichts. Wenn Stefan Zöllner heimkehrt, und die alten Bekannten noch so vage im Kopf haben, daß er Schauspieler ist, lautet die erste Frage automatisch: „Muß man Dich kennen?“ So daß er später schon automatisch sagt: „Ich bin Schauspieler. Aber man muß mich nicht kennen.“ Schließlich hat er nie „Tatort“ gemacht und kann auch keine Auskunft auf die Frage geben: „Wie ist denn die Ferres so?“
Er selbst weiß nur, daß sein Beruf ihn mit keinerlei Enthusiasmus mehr erfüllt und daß sein Vertrag am Theater nicht erneuert wurde. Als Zukunftsaussicht gibt es (seine Agentin ist auch seine Freundin, aber besonders enthusiastisch und liebevoll klingen die beiden am Telefon nicht) – ja, eine Doktorrolle in einer Soap. Serienzukunft. Das kann einem schon einmal Alpträume bescheren…
Aber was soll’s? Schauspielerei ist ohnedies nur „das, was ich mache.“ Und in Bochum gilt das gar nichts. Aber mit ihrem jungen Türken, der am Fußballplatz reüssiert, können sie gar nicht genug protzen. Der ist der Stolz von allen. Kein Wunder, daß sich Stefan Zöllner sehr fremd fühlt, als er „heim“ kommt, wo jeder ihn kennt und ihn ganz als selbstverständlich nimmt, als wäre er gar nicht weg gewesen. Wo lebt er? In München? Brrrr! Da können sich die Bochumer nur beuteln.
 
Wer sind sie denn, diese Bochumer, die Frank Goosen in seinem Erfolgsroman beschwor und die Sönke Wortmann nun auf die Leinwand bringt? Nun, das ist das Ruhrpott-Prekariat, dem man als braver Durchschnittsbürger wohl eher aus dem Weg geht, mit ihrer Dümmlichkeit, Aggressivität, blöden Sprüchen, mit der Bierbüchse vorm Fernseher hängend. Sie werden ausgestellt wie Tiere im Zoo, wo man froh wäre, wenn da ein Gitter dazwischen ist. Stefan Zöllner geht auch in Gestalt von Lucas Gregorowicz (von dem man am Wiener Burgtheater schon einiges Interessante gesehen hat – aber ist ja nur Theater, nicht wahr, jetzt ist er im Kino!) auch ziemlich fremd durchs Geschehen. Unbeteiligt.
Und doch, das will uns die Geschichte unbedingt sagen – das ist Heimat. Nein, sein Vaterhaus verkauft man nicht. Und Omma Änne (hinreißend: Elfriede Fey) im Tante-Emma-Laden (wenn man die überfallen will, schickt sie die Bürschchen heim!) zeigt alte Fotos von seinem Vater, als dieser jung war… Da sind die alten Freunde, die einen umarmen und sofort mit sich herumschleppen. Da hat man mit jedem gemeinsame Erinnerungen. Da bleibt man?
Nun, Bücher und Drehbücher haben im Gegensatz zum wirklichen Leben die Freundlichkeit, die Dinge zu gestalten. Da ist ja noch Charlie (sehr selbstbewußt: Anna Bederke), wie sie elf Jahre waren, haben sie sich geküßt, dann hatten sie auch mal was miteinander, dann ist er weg – und sie meint eigentlich, daß sie beide nicht mehr so jung seien. Also?
Man verrät wahrlich nichts, wenn man sagt, daß er bleibt. Und klar ist auch, daß Sönke Wortmann, der aus der Gegend stammt, das Bochumer Stimmungsbild nicht diskriminierend, sondern liebevoll-ironisch ausbreitet. Und doch… Man will die Geschichte nicht weiterdenken. Was wird Stefan tun? Mit Charlie und ihrem flotten kleinen Sohn in dieser Unterschicht-Welt leben und versuchen, im Extrazimmer ihres Wirtshauses ein „Kulturzentrum“ aufzustellen? Man will gar nicht daran denken. Das Ganze sollte rührend, berührend, auch ein bißchen tiefsinnig sein. Aber alles was aus den Erfahrungen dieser Welt bleibt, ist ein unangenehmer Beigeschmack. Die wahre Werbung für Bochum ist dieser Querschnitt des Homo Ruhrpottinensis wirklich nicht…
 
 
Renate Wagner