Kein Hohelied der DDR aber einHöchstmaß an Fairness

„In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von Matti Geschonneck

von Renate Wagner

In Zeiten des abnehmenden Lichts
(Deutschland 2017)

Regie: Matti Geschonneck
Mit: Bruno Ganz, Sylvester Groth, Hildegard Schmahl, Alexander Fehling, Angela Winkler, Evgenia Dodina, Nina Antonova, Natalia Belitski, Gabriela Maria Schmeide u.a.
 
Die grundsätzliche Problematik dieser Romanverfilmung – „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von Eugen Ruge – gleicht jener von „Die Geschichte der Liebe“ von Nicole Krauss, derzeit im Kino. In beiden Fällen hat man es mit einem Generationen umgreifenden, in vielen Personen- und Handlungssträngen nebeneinander laufenden Werk zu tun. Woran Radu Mihaileanu in der „Liebe“ gescheitert ist, das gelang Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase und Regisseur Matti Geschonneck für die DDR-Saga Ruges souverän, weil sie sich nach dem Motto „weniger ist mehr“ zur Konzentration entschlossen.
Was sich hier im Roman über die Jahrzehnte von 1952 bis 2001 erstreckt, konzentriert sich im Film auf einen Tag – auf den 1. Oktober 1989 in Ostberlin (pardon: Berlin, Hauptstadt der DDR). Aber zumindest die Vergangenheit der Familie kommt gesprächsweise immer wieder zum Tragen (die Zukunft weiß man ja noch nicht – außer, daß bald das ganze System zusammen krachen wird). Liebhaber des Romans, den nur wenige als konfus und langweilig bezeichnet haben, viele aber als genial gelobt, fühlten sich im Film um die Familiensaga betrogen. Aber gelungen ist etwas ganz Besonderes: einerseits eine Schilderung der DDR ganz kurz vor ihrem Ende, andererseits die so verschiedenen, so divergierenden Schicksale, die nur in einem Fall – die des zentralen Wilhelm Powileit – selbst gewählt waren. Wie die übrigen mit ihren DDR-Existenzen umgehen, das gibt vielleicht nur in zweiter Linie eine „Buddenbrooks“-Saga (und entschieden glanzloser), aber eine Analyse von Zeit und Gesellschaft, wie man sie in dieser Konzentration auf der Leinwand nur selten erleben darf.
Wilhelm Powileit, im Roman als Urgroßvater, Großvater, Gatte und Stiefvater, nur eine Figur unter vielen, tritt hier absolut ins Zentrum. Es ist sein 90. Geburtstag, der hier gefeiert wird, und man verläßt kaum die durchaus für dortige Zustände luxuriöse Villa, die einst einem Nazi gehört hat und die dann dem treuen und in der Hierarchie durchaus erfolgreichen Parteigenossen zugestanden wurde (auch wenn er im mexikanischen Exil vergeblich darauf gewartet hat, von der Partei in die Ermordung Trotzkis einbezogen zu werden…).
 
Der Drehbuchautor gab der Geschichte nur einen Rahmen – jenen Ort Slawa im Ural, wo Wilhelms Stiefsohn Kurt Umnitzer quälende Jahre in einem Arbeitslager verbrachte und aus dem er seine russische Gattin samt Schwiegermutter in die DDR gebracht hat – dorthin kehren alle, soweit noch am Leben, am Ende des Films zum Begräbnis dieser Russin, die ihre Fremdheit in Berlin in Wodka ertränkte, zurück.
Ja, und bevor die Handlung sich ausschließlich zur Geburtstagsfeier in Powileits Villa begibt, sucht Kurt in einem elenden Plattenbau noch seinen Sohn Sascha auf, der ihm mitteilt, daß er nicht zu Großvaters Geburtstag kommen wird, weil er sich in den Westen absetzt. Dies ist als Bombe am Geburtstag allerdings nicht so gewaltig, wie der Pressetext des Films es immer hinstellt: Der alte Wilhelm hat vom Stiefenkel wohl letztendlich so wenig gehalten wie vom Stiefsohn, und „Republikflüchtlinge“ sind für ihn das Letzte. Eigentlich gehören solche Leute, meint er, ohnedies nur in die Lager. Wenn er ein alter Nazi wäre, er könnte nicht anders denken und sprechen.
Dieser Wilhelm Powileit ist nicht nur, weil Bruno Ganz ihn so hinreißend locker spielt, die innere Verkrampftheit nur gelegentlich herauslassend, die zentrale Figur des Films. An ihm kann man die geradezu klassischen Umrisse eines Unbelehrbaren erkennen, der 1989 immer noch Stalins Lieblingslied singt und meint, man müsse sich vor Ärzten hüten, Genosse Stalin sei falsch behandelt worden… Er läßt sich seinen Stalin nicht nehmen wie andere nicht ihren Hitler, und daß die Welt, in der er lebt, zerbricht, kann er mit seinen eigenen historischen Erfahrungen belegen – als die Nazis kamen, waren die Kommunisten nicht vorbereitet, weiß er, und sie sind es nicht, als die Mauer am 9. November fallen wird. Aber das erlebt Wilhelm Powileit nicht mehr, da hat ihn die Gattin wohl schon tatsächlich vergiftet, wie er es immer vermutet…
 
Und sein Geburtstagsfest macht ihm auch keine rechte Freude. Regisseur Matti Geschonneck malt die DDR-Kapazunder, die da gratulieren, Reden schwingen und Orden verteilen, zwar mit leiser Ironie, aber er macht sie nicht (so wie etwa Leander Haußmann in seinen Filmen) zu lächerlichen Popanzen. Ein paar mögen noch überzeugt sein von dem, was sie tun, die anderen nur noch ihre Rituale herunterspulen, aber noch hält sich ein System an sich selbst fest – das zeigt dieser Geburtstagsaufmarsch zu Ehren des „Genossen“. Und an der manchmal schmerzlich verzerrten Miene von Bruno Ganz erkennt man, daß er diesen finalen Totentanz durchaus auch als solchen begreift.
Wenn seine Auseinandersetzungen mit seiner Frau Charlotte zu Argumenten führen wie „Ich bin seit 70 Jahren in der Partei, wie lange bist Du in der Partei?“, dann weiß man, daß vieles zwischen diesen beiden Menschen nicht stimmt. Natürlich kann der Film, der sich gerade 100 Minuten gibt, die Schicksale nicht im vollen Detail ausspinnen, aber die Schauspieler springen ein: Hildegard Schmahl, die gar nicht liebende Gattin, zeigt deutlich, wie sehr sie die Nase voll hat von diesem Mann – bis zur Bereitschaft, sich seiner zu entledigen. Noch großartiger, wie Sylvester Groth als Kurt Umnitzer das Schicksal trägt, kein bayerischer Jurist geworden zu sein wie sein richtiger Vater (den die Mutter für den Kommunisten verlassen hat), sondern ein zähneknirschender DDR-Historiker, der immer mit seiner Meinung hinter den Berg hält. Daß er das nicht kann und will, macht Alexander Fehling als der „republikflüchtige“ Sohn Sascha in einer kurzen, aber starken Szene klar.
Es gibt noch ein paar sehr schöne Frauengestalten – vor allem die tragische Irina, hinreißend ausgereizt mit großer russisch-pathetischer Geste von Evgenia Dodina, und ihre stille, bäuerliche, starke Mutter Nadeshda Iwanowna (eindrucksvoll: Nina Antonova), die so fremd ist in Berlin, wenn der Schwiegersohn auch Russisch mit ihr spricht (da helfen dem Kinobesucher die Untertitel).
 
Da ist noch Natalia Belitski als die stille Frau mit Kind, die von Sascha zurückgelassen wurde, Gabriela Maria Schmeide als die von Charlotte gehaßte Haushaltshilfe, in deren Busen der alte Wilhelm Powileit Trost suchend sein Gesicht steckt, und schließlich in einem Kurzauftritt Angela Winkler. Winkler und Schmahl, die großen Zadek- und Tabori-Schauspielerinnen, nebeneinander, ein Stück deutscher Theatergeschichte – da macht es auch nichts, daß das Drehbuch vergessen hat, ihre Figur zu umreißen.
Es gibt sonst genug zu begreifen und vor allem zu bedenken in diesem Film, der kein Hohelied der guten alten DDR singt, ihr aber mit einem Höchstmaß an Fairness begegnet.
 
Trailer   
 
Renate Wagner