Bauten Hannes Meyers in die Liste der UNESCO-Welterbestätten aufgenommen

Dessau und Bernau wurden ausgewählt

von Rainer K. Wick

Laubenganghaus, Dessau-Törten - Foto © Wick

Bauten Hannes Meyers in die Liste der UNESCO-Welterbestätten aufgenommen
 
Dessau, die Bauhaus-Stadt in Sachsen-Anhalt, und Bernau, nördlich Berlins in Brandenburg gelegen, haben allen Grund zu jubeln. Am 9. August 2017 wurden zwei bedeutende Baukomplexe des Architekten und zweiten Bauhaus-Direktors Hannes Meyer in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen, und zwar die Dessauer Laubenganghäuser und die ehemalige Bundesgewerkschaftsschule in Bernau.
 
In Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wegen seiner sozialistischen bzw. marxistischen Überzeugungen nicht selten als Totengräber des Bauhauses diffamiert, setzte die Würdigung des architektonischen Lebenswerks Hannes Meyers erst allmählich ein – früher in der DDR, deutlich später in der BRD. Während sich „Lichtgestalten“ wie Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe längst im Olymp der Architekturmoderne befanden, führte der Schweizer Architekt, der 1930 in die Sowjetunion ging, um dort am Aufbau der kommunistischen Gesellschaft mitzuwirken, und von 1939 bis 1949 als Architekt in Mexiko arbeitete, über Jahrzehnte eher ein Schattendasein. Nun, endlich, seine längst fällige Rehabilitation auch durch die UNESCO-Welterbekommission.
Nach Kontakten mit Le Corbusier und der holländischen Stijl-Gruppe Mitte der 1920er Jahre hatte sich Meyer der Bewegung des sogenannten  Neuen Bauens angeschlossen. In seiner Zeit am Bauhaus gelangen ihm mit den nun zum Weltkulturerbe erklärten Laubenganghäusern in Dessau-Törten sowie mit der Bundesgewerkschaftsschule in Bernau bei Berlin (beide 1928–1930) exemplarische Beiträge zu einem „linken Baufunktionalismus“. Jenseits aller formalistischen und ästhetizistischen Tendenzen verstand er sich als „Diener [der] Volksgemeinschaft“ und propagierte die Befriedigung des breiten „Volksbedarfs“ anstatt des „Luxusbedarfs“ der Happy Few.  Angesichts der dramatischen Wohnungsnot in den Jahren der Weimarer Republik dem sozialen Wohnungsbau eine besondere Rolle zu. Nachdem zwischen 1926 und 1928 in mehreren Bauabschnitten schon die von dem Bauhaus-Gründer Gropius entworfene Siedlung Dessau-Törten mit Reihenhäusern von 57 bis 75 m2 Wohnfläche entstanden war, plante Hannes Meyer zusammen mit der Bauabteilung des Bauhauses ab 1928 für Törten die sogenannten Laubenganghäuser. Im Unterschied zur Gropius-Siedlung sollten sie nicht von kleinen Angestellten, sondern von Arbeitern bewohnt werden; Meyer sprach explizit von Proletarierwohnungen. Es handelt sich um dreigeschossige, traditionell aus rotem Ziegelmauerwerk errichtete Wohnhäuser in Flachdachbauweise mit je 18 Wohnungen, die auf nur 47 m2 Grundfläche mit einem Wohnraum und zwei Schlafkammern plus Küche, Bad und Flur den Typus der damals von progressiven Architekten allenthalben geforderten „Wohnung für das Existenzminimum“ – so das Motto des zweiten CIAM-Kongresses 1929 in Frankfurt – repräsentierten. Die Aufgänge zu den Wohnungen befinden sich jeweils auf der Nordseite in einem dem Gebäudeblock vorgelagerten Treppenturm, die Wohnungen selbst  sind über balkonartige offene Gänge – Laubengänge – erreichbar. Innovativ war dieses Konzept insofern, als damit die langen, oft dunklen, unwirtlichen und sozialpsychologisch problematischen Flure herkömmlicher Mietshäuser gewissermaßen ins Freie verlegt und sichtbar wurden. Neben Kosteneinsparungen versprach sich Meyer von dieser Maßnahme eine Steigerung der Kommunikationsdichte und damit ein Mehr an Solidarität unter den Hausbewohnern. Dass eine derartige Architektur auch der Ausübung sozialer Kontrolle dienen kann, ist allerdings nicht zu bestreiten und wurde Hannes Meyer von seinen politischen Gegnern zuweilen auch entgegen gehalten.


Bundesgwerkschaftsschule Bernau, Modell - Foto © Wick
 
Während noch nicht alle Dessauer Laubenganghäuser denkmalgerecht saniert sind, hatte schon zwischen 2002 und 2006 die stufenweise Sanierung der von Hannes Meyer zusammen mit seinem Kollegen Hans Witwer entworfenen Bundesschule des AGDB (Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes) in Bernau stattgefunden. Diese landschaftlich idyllisch in einer Kiefernwaldung gelegene Bundesschule gehört zweifellos zu den bedeutenden, von der breiten Öffentlichkeit bisher aber kaum wahrgenommenen Programmbauten einer sozial grundierten Architekturmoderne. Konzipiert wurde der Bau als internatsähnliches Bildungszentrum, in dem sich Gewerkschaftsmitglieder und -funktionäre in vierwöchigen Lehrgängen in verschiedenen Fächern fortbilden konnten. Maßgeblich für die Raumdisposition war ein Denken, das von der Idee des Kollektivs und der Stiftung von Solidarbeziehungen bestimmt war. Der prominente Kunstkritiker Adolf Behne brachte es damals auf die prägnante Formel: „Die Diktatur der Form ist abgeschafft, das Leben ist siegreich und sucht sich seine Gestalt.“ Trotz Meyers antiästhetizistischer Doktrin zeigt die Gesamtanlage eine souveräne Komposition, die auf einem kontrastierenden Miteinander der einzelnen Gebäudeeinheiten beruht. Hinter dem in den 1950er Jahren überbauten und in seinem ursprünglichen Zustand heute leider nicht mehr erhaltenen Kopfbau mit seinen drei markanten Schornsteinen befinden sich das weiträumige Foyer, die große Aula, die Küche und der lichtdurchflutete Speisesaal. Interessant ist die Tatsache, dass die Aula einen exakt quadratischen Grundriss erhielt. Meyer sah im Quadrat, neben dem Kreis, den „baulich stärkst möglichen Ausdruck der Einheit, [...] einer Gemeinschaft.“ Hier kommt ein Stück architektonischer Symbolik ins Spiel, die rigorose Funktionalisten überraschen mag, die aber unter dem Signum eines „erweiterten Funktionalismus“ durchaus ihre Daseinsberechtigung hat. Die an den Kopfbau sich anschließenden Internatshäuser sind zur Sonnenseite hin orientiert, das Schulgebäude mit Bibliothek über der großen Turnhalle markiert das nordöstliche Ende des lang gestreckten Baukomplexes. Ein verglaster Laufgang, der das leichte Gefälle des Geländes aufnimmt und auch der Erschließung der versetzt hintereinander gestaffelten, dreigeschossigen Internatshäuser dient, beginnt am Foyer und verbindet das gesamte Ensemble vom Kopfbau bis zum Unterrichtsgebäude. Farbe und Material bilden lebhafte Kontraste – hellgelber Klinker, graue Betonflächen, Glasbausteine, rot gestrichene, den Bau farblich akzentuierende Metallträger und Fensterrahmen. Von der sogenannten Weißen Moderne, wie man sie gemeinhin mit dem „Neuen Bauen“ der Weimarer Republik assoziiert, die aber ohnehin längst als Mythos entlarvt ist, keine Spur.
Nachdem die ADGB-Bundessschule im Mai 1930 feierlich eröffnet werden konnte, wurde sie schon drei Jahre später im Zuge der Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten in eine Reichsführerschule zur Schulung von Führungskräften der NSDAP und der Deutschen Arbeitsfront und, später, zur Ausbildung von Angehörigen der SS und der Gestapo umfunktioniert. Während des Zweiten Weltkriegs erhielt das Gebäude einen entstellenden Tarnanstrich, in der jungen DDR führten Anfang der 1950er Jahre vom FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) in Auftrag gegebene Erweiterungsbauten zu erheblichen Eingriffen in die originale Bausubstanz. Besonders schmerzlich ist der offenbar unwiederbringliche Verlust des ursprünglichen Eingangstrakts durch die Überformung dieses Bereichs in den fünfziger Jahren. Im Zuge der in den Nuller Jahren des 21. Jahrhunderts vom Berliner Architekturbüro Winfried Brenne durchgeführten, überaus umsichtigen und sorgfältigen Restaurierung des Gebäudes, deren Ziel die möglichst authentische Wiederherstellung des originalen Zustands war, konnten die Umgestaltungen aus den frühen fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts bedauerlicherweise nicht rückgängig gemacht werden, da diese Überbauungen als Dokument der DDR-Nachkriegsmoderne  inzwischen selbst schon Denkmalschutz genießen.


Bundesgwerkschaftsschule Bernau, Speisesaal - Foto © Wick
 
Im Jahr 2012 erfolgte der Antrag der Bundesländer Sachsen-Anhalt und Brandenburg, die Dessauer Laubenganghäuser und die Bundesschule in Bernau in die Welterbeliste der UNESCO einzutragen. Fünf Jahre später ist nun dieses Ziel erreicht – eine gute Entscheidung nicht nur angesichts der architekturhistorischen Bedeutung dieser Bauwerke, sondern auch im Horizont des näher rückenden hundertjährigen Bauhaus-Jubiläums im Jahr 2019.
 
Text und alle Fotos © Rainer K. Wick