Wenn auch das dramaturgische Gefüge ächzt: Pierre Richard ist großartig

„Monsieur Pierre geht Online“ von Stéphane Robelin

von Renate Wagner

Monsieur Pierre geht Online
(Un profil pour deux - Frankreich 2017)

Regie: Stéphane Robelin
Mit:
Pierre Richard, Yaniss Lespert, Fanny Valette,
Stéphane Bissot u.a.
 
Monsieur Pierre ist uns bestens bekannt, allerdings in einer jüngeren Ausgabe seiner selbst – als Pierre Richard, einst („der große Blonde“) ein wuschelköpfiger Karacho-Komiker des französischen Films, damals neben Louis de Funes der Größe. Nun ist er ein alter Herr und als solcher Held einer sehr heutigen Geschichte, die den Menschen unrettbar in die Welt der sozialen Medien einbettet. Einer Komödie zumal, die einen bekannten Schauspieler völlig neu, unbekannt – und wunderbar erscheinen läßt.
„Wir brauchen eine User-ID.“
„Eine was?“
Monsieur Pierre, er ist fast 80, hat eine mittelalterliche, rundliche, betriebsame Tochter namens Sylvie (Stéphane Bissot), die sich fast zu sehr um ihn kümmert. Jedenfalls schenkt sie ihm ihren alten Computer, um ihn zu beschäftigen (er ist seit zwei Jahren Witwer), und sie hat auch den Mann dazu, der ihm Einführungslektionen erteilen wird: Alex (sympathisch, ruhig und ein gar nicht „heutiger“ Typ: Yaniss Lespert) ist nicht nur der Freund ihrer Tochter Juliette (Stéphanie Crayencour als streitbares Blondinchen), sondern auch noch ein Schriftsteller, der es absolut nicht schafft (selbst Juliette findet nichts an seinen Werken) und der dringend Geld braucht. Also – Nachhilfestunden für Opa.
 
Wenn vor diesem plötzlich per Skype das Gesicht seiner Tochter auftaucht, schreckt er ein wenig zurück, aber dann läßt er sich auf das neue Spielzeug mit der Neugierde eine lustvollen Kindes ein. Schau, man kann sogar ein Selfie machen – Alex zeigt es ihm mit einem eigenen Bild. Und dann findet Pierre auch bald die Seiten, auf denen man Damen kennen lernen kann. Und was er einer gewissen Flora schreibt, ihres Zeichens Physiotherapeutin in Brüssel (Fanny Valette, wunderbar auf erwachsene Art reizvoll), rührt diese so sehr, daß sie ihn gerne kennen lernen möchte.
Und wir hätten, wenn es sich nicht um eine Komödie handelte, eine klassische, kritische Situation von heute vor uns – das Internet als Lügenplattform, wo jeder jedem vormachen kann, was er will. Denn auf der Frage nach einem Foto schiebt der alte Mann natürlich nicht seines ins Netz, sondern das, das Alex praktischerweise von sich gemacht hat… Auch das ist tragisch: Einer, der weiß, daß ein Alter in dieser Welt nichts wert ist. Und der doch noch einmal fühlen und leben will.
Die Ähnlichkeit mit dem Sujet von „Cyrano de Bergerac“ wurde zu Recht immer wieder hervorgehoben, denn auch darum geht es: daß einer den Geist und die Seele hat und die Worte dazu, und der andere die „Looks“. Also wird Alex, unter Begleitung des alles beobachtenden Pierre, nach Brüssel geschickt (wenn man ihn bezahlt, tut er es eben). Da kommt es zu klassischen Komödiensequenzen – Pierre hat sein jüngeres Ich als Sinologen ausgegeben, wovon Alex keine Ahnung hat (und Flora hat ein paar chinesische Worte gelernt!). Aber zwei hübsche Menschen, da macht es offenbar nichts, daß einer im Leben nicht so eloquent ist wie beim Schreiben: Alex wird als „Ersatz-Vögler“ vorgeschickt, und irgendwie schmeckt die ganze Geschichte nicht so wirklich gut, wankt in ihrer Glaubwürdigkeit total, hat auch so manches peinliche Element.
 
Es gibt allerdings in der Regie von Stéphane Robelin wirklich schönen Szenen: Wenn Flora dann nach Paris kommt, beim „Opa“ ihres Alex wohnen darf und die beiden sich nun wirklich kennenlernen. Wenn Tochter und Enkelin herbeirauschen und die „Neue“ des Alten, wie sie glauben, mehr als mißtrauisch besichtigen (zumal der auftauchende Alex ja dann kein Familienmitglied, sondern der abtrünnige Freund der Enkelin ist).
Am schönsten an der Geschichte, die nicht wirklich stimmt, ist dann eine der letzten Szenen: Wenn die beiden Männer zu einer verwirrten Flora kommen, sie ihre Liebe gesteht, sie dabei fest Pierre anblickt, der alte Mann wirklich denkt, er sei gemeint – und dann nur erkennen muß, daß sie aus Schamhaftigkeit Alex, ihrem wahren Ansprechpartner, den Rücken zugewendet hat. Als sie diesen dann umarmt, muß Monsieur Pierre wieder etwas erkennen… und die wundersame, minimalistische Schauspielkunst des Pierre Richard entfaltet sich in diesem stillen alten Mann, der noch einmal unruhevoll auf Gefühle und Erleben gehofft hat und ja doch resigniert, auf die wunderbarste Weise.
 
Das muß man gesehen haben, wenn auch das dramaturgische Gefüge ächzt und krächzt (ein Rostand-Stück für die Bühne ist kein Filmsujet für heute), wenn dann die verlassene Juliette und am Ende noch Monsieur Pierre mit anderen Partnern getröstet werden (Happy End überall!) – so wie die französischen Filme neuerdings es kaum mit der Realität, sondern mit schaumgebremsten Beschönigungen halten. Macht nichts – Pierre Richard als Monsieur Pierre: Du großer Blonder, zum weißhaarigen alten Wundermann mutiert, das ist großartig.
 
 
Renate Wagner