Ein wichtiges neues Hörbuch

Christian Brückner liest: „Walter Benjamin – Deutsche Menschen. Eine Folge von Briefen.“

von Johannes Vesper

Deutsche Menschen
ein Folge von Briefen
Gesammelt und kommentiert
von Walter Benjamin
gelesen von Christian Brückner

Ein wichtiges neues Hörbuch
 
Weil schon in den Jahren vor 1933 der Nationalsozialismus zunehmend an Einfluß gewann und das Volk faszinierte, wollte Walter Benjamin mit dieser Sammlung auf ein anderes Deutschland aufmerksam machen. Als unerträglich empfand Benjamin, daß Hitler mit seinem Mob, seiner SA und SS, seiner Kriegslüsternheit, später mit seinen „willigen Vollstreckern“ und ihren Konzentrationslagern Deutschland und seine „deutsche Kultur“ in der Welt repräsentierte und kannibalisierte. Benjamin wollte mit seinem Werk dagegen halten und „setzte der Fähigkeit, Briefe zu schreiben, ein Denkmal“ (Theodor Adorno). Dazu hatte er 25 Briefe aus der Zeit von 1783-1883, aus denen die Kultur und Zivilisation der Zeit herausleuchtet, zusammengestellt und kommentiert. Sie erschienen zwischen März 1931 und Mai 1932 anonym in der Frankfurter Zeitung. Die Artikelserie zu einem Buch zusammenzufassen, dazu konnte sich die FZ im Dezember 1931 nicht durchringen. Das Buch paßte nicht in die Zeit. Benjamin beklagte nicht nur den politischen, sondern schon damals auch den ökonomischem Druck, der auf ihm lastete: „Wenn in diesem Lande noch irgendetwas außer für 25 oder 50 Pfennig sich verkaufen ließe, hätte das Buch, das diese Briefe zu bilden im Begriff stehen, längst einen Verleger“. Die ökonomische Bedrängnis Benjamins „reiht sich damit in die lange Prozession deutscher Dichter und Denker ein, die sich an der Kette einer gemeinsamen Not geschmiedet…dahin schleppen“, was der damals unter Polizeiaufsicht stehende Georg Büchner vor seiner Flucht aus Darmstadt in seinem Brief vom Februar 1835 beklagt. Kulturgeiz ist geil, schon damals. Benjamins Buch wurde schließlich 1935 unter einem Pseudonym in der Schweiz publiziert. Erfolgreich verkauft wurde es auch dort nicht.
 
Walter Benjamin hat diese Briefe nicht publiziert, um die hinter ihrem Werk verborgenen Autoren dem Leser näher zu bringen oder um der Literaturwissenschaft Forschungsmaterial zu verschaffen. Er wollte nicht den Autoren „hinter die Gardine sehen“. Er wollte 1932 diese Briefe veröffentlichen, um im drohenden Nazi-Deutschland die humanistische Haltung der Briefschreiber deutlich zu machen und um zu zeigen, welche Kraft, welcher Ausdruck in der Gestaltung privaten Lebens in jener Epoche vor 1883 erreicht wurde. In den publizierten Briefen werden Kindheit, Liebe Freundschaft, Leid, Leben, Flucht, Exil und Tod dargestellt und von Benjamin kommentiert. Mit dieser Art der Auswahl und Publikation hat Benjamin eine neue literarische Gattung geschaffen und ein wunderbares Zeugnis des aufgeklärten Bürgertums geliefert. Briefe von Büchner, Georg Christoph Lichtenberg, J.W. von Goethe, Annette von Droste-Hülshoff, von Johann Heinrich Voss, um nur einige zu nennen, werden von Christian Brückner, einem der profiliertesten deutschen Sprecher („Die Stimme, die jeder kennt“, DIE WELT) gelesen. Prächtig bezieht in seinem wohl notwendigen Brief an den Aufklärer Immanuel Kant der Arzt Samuel Collenbusch, der in Barmen gewohnt hat und nach dem in Wuppertal-Wichlinghausen eine Straße benannt ist, Stellung für seinen pietistischen Glauben.
 
Wer hört, was Goethe 1825 an Zelter schreibt, der bemerkt, daß schon unsere Vorfahren mit Problemen beschäftigt waren, von denen wir glauben, daß sie erst für unsere Zeit Relevanz entwickelt hätten. „Reichtum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wonach jeder strebt. …alle möglichen Facilitäten der Communication sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu überbilden und dadurch in Mittelmäßigkeit zu verharren“. „Schnelligkeit“ fing im 19. Jahrhundert an mit der Eisenbahn, mit der Telegraphie und wird nicht enden mit autonomen Autos, mit Smartphones und Internet schon für die Grundschüler. Und „Reichtum“? Heute strebt eine sogenannte Wirtschaftselite nach millionenschweren Boni. Was tut diese „Elite“ eigentlich sonst noch? Elitäre Fußballspieler wissen nicht wohin mit ihrem Gelde. Mit dem Einkommen einzelner kann der Jahreskulturetat einer mittelgroßen Stadt bestritten werden kann (Sinfonieorchester, Oper und Schauspiel!). 222 Millionen Euro wurden jetzt als Ablösung für einen jugendlichen Kicker bezahlt! Dabei gehen immer noch mehr Menschen ins Theater als zu den Spielen der 1. Bundesliga!
Viele haben Walter Benjamin hoch geschätzt. Bertold Brecht (1935), Christa Wolf (1990), Theodor Adorno, Ernst Bloch und viele andere haben sie sich zu Buch und Benjamin geäußert. Walter Benjamin lebte sein Leben für Kunst und Literatur nicht in der Heimat zu Ende. Er brachte sich auf seiner Flucht aus Nazi-Deutschland und Vichy-Frankreich am Grenzbahnhof Port Bou in Nordspanien um. Dany Karavan schuf den Gedenkort für ihn und all die anderen Flüchtlinge, die diesen Fluchtweg benutzt hatten. Die Pyrenäen wimmelten ja damals nur so von flüchtigen und eingesperrten deutschen Intellektuellen. „Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Dem Gedächtnis der Namenlosen ist die historische Konstruktion geweiht.“ (http://www.musenblaetter.de/artikel.php?aid=7603). Diesen Spruch des Humanisten und Flüchtlings Walter Benjamin hat Dany Caravan auf das Flüchtlingsmahnmal in Port Bou geschrieben. In dem hier vorgestellten Hörbuch wird exzellent Walter Benjamin und das, was Deutschlands Kultur einst ausgemacht hat, erinnert.
 
Auf drei CDs liest Christian Brückner, geb. 1943, Grimme-Preisträger von 1990, diese 25 Briefe mit den Kommentaren von Walter Benjamin. Für das gesamte Programm seines Parlando-Verlags und für sein Lebenswerk erhielt er 2005 und 2012 den Deutschen Hörbuchpreis. Die Faltbox mit den CDs enthält ein schönes Booklet mit einem kenntnisreichen Text von Erdmut Wizisla zum Buch. Er leitet das Walter Benjamin-Archiv in der Berliner Akademie der Künste. Der Vortrag Walter Benjamins am 19.01.1932 im Südwestdeutschen Rundfunk ist ebenso abgedruckt wie die Chronik zu Entstehung und Ausgaben des Werks.
 
Christian Brückner liest: „Walter Benjamin – Deutsche Menschen. Eine Folge von Briefen.“
Ungekürzte Lesung/ 3 CDs / Gesamtlänge 227 Min (Text nach der Buchausgabe von 1972 im Suhrkamp-Verlag),
© 2017 Edition parlando beim Argon Verlag / Christian Brückner
Laufzeit: 3 Stunden, 47 Minuten
 
Weitere Informationen:  www.parlandoverlag.de