Das Portrait eines Egoisten

Luca D'Andrea – „Der Tod so kalt“

von Sabine Kaufmann

Das Portrait eines Egoisten
 
Klappentext: Südtirol, 1985. Tagelang wütet ein gewaltiges Gewitter über der Bletterbach-Schlucht. Drei junge Einheimische aus dem nahegelegenen Siebenhoch kehren von einer Wanderung nicht zurück – schließlich findet ein Suchtrupp ihre Leichen, aufs Brutalste entstellt. (…) Dreißig Jahre später beginnt ein Fremder unangenehme Fragen zu stellen. Jeder warnt ihn vor den Konsequenzen, allen voran sein Schwiegervater, der die Toten damals gefunden hat. Doch Jeremiah Salinger, der seiner Frau in ihr Heimatdorf gefolgt ist, lässt nicht locker – und wird schon bald seine Neugier bereuen. Ein Fluch scheint alle zu verfolgen, die sich mit den Morden beschäftigen. Ist dort unten am Bletterbach etwas Furchtbares wieder erwacht? Etwas, so uralt wie die Erde selbst ...
 
Luca D'Andrea läßt seinen Protagonisten, den Amerikaner Jeremiah Salinger als Ich-Erzähler agieren. Er zeichnet den von frühem Erfolg verwöhnten Dokumentarfilmer, der 2015 nicht nur seiner Frau zuliebe, sondern auch wegen eines Projektes über die Bergrettung mit nach Südtirol gekommen ist, als verbohrten, zunehmend negativen, ja unsympathischen Charakter. Obwohl Salinger am unnötig entsetzlichen Schluß ein 30 Jahre zurückliegendes schreckliches Verbrechen in der Bletterbach-Schlucht aufklärt, bleibt das erschreckende Portrait eines Mannes, der seiner überheblichen Abenteuer- und Sensationslust das Leben anderer opfert, der seiner unersättlichen Neugier, gepaart mit Rücksichtslosigkeit, leichtfertig das Wohl von Frau und Kind unterordnet, seine Familie in traumatische Erfahrungen mit nachhaltigen gesundheitlichen Folgen stürzt. Wer möchte schon so einen „Helden“, der ein charakterloser Egoist ist, der seine Familie belügt, kein Versprechen hält, unaufrichtig und wortbrüchig ist – und der ständig die Sätze seiner Gesprächspartner beendet? Soviel zur zentralen Figur.
 
D'Andrea hat um diesen Salinger herum einige interessante Figuren skizziert und das Bild einer Südtiroler Berggemeinde entworfen, wie es sie so sicher nicht gibt – was im Nachwort auch eingeräumt wird. Die Mystifizierung bestimmter Ereignisse, die hypothetische Existenz gewisser archaischer Kräfte sind Elemente, die sich neben den komplizierten Verflechtungen des Personals durchaus zur Steigerung der Spannung dieses Thrillers eignen. Das alles jedoch durch endlose textliche Füllmengen, immer neue logikarme Wendungen, unnötige seitenlange Dialoge und die wiederkehrende Schilderung blutiger Details auf fast 480 Seiten zu dehnen – 250 hätten allemal genügt – fordert die Geduld des Lesers allzu sehr heraus. Die Eindringlichkeit der Beschreibung des Krampus-Festes allerdings ist ein Pluspunkt. Untadelig ist auch die der Übersetzerin Verena von Koskull zu verdankende sprachliche Eloquenz des Romans, der sich, allen Längen zum Trotz, „wegliest“. Geradezu unerträglich, nicht nur wegen seiner Brutalität, sondern wegen seiner aufgesetzten Dramatik und logischer Fehler (wieso läßt Salinger auf Seite 461 einen Ast fallen, den er auf Seite 458 bereit fallen ließ?), ist aber der blutige Showdown. Hier wie schon an anderen Stellen setzt Luca D'Andrea auf Effekte anstatt auf Logik und Qualität. Alles in allem ein Roman, den man nicht gelesen haben muß.
 
Luca D'Andrea – „Der Tod so kalt“
Thriller – Aus dem Italienischen von Verena von Koskull
© 2017 DVA, 474 Seiten, Klappenbroschur  -  ISBN 978-3-421-04759-5
14,99 €
 
Weitere Informationen: www.randomhouse.de/