Frieda und der Hausputz

von Hanns Dieter Hüsch

© 1959 Sanssouci Verlag - Umschlag: Robert Wyss
Frieda und der Hausputz
 
Was meine Frieda im Frühling träumt…
Ich will die Sache kurz, aber schmerzlich machen:
Sie träumt vom Hausputz.
 
Darin ist sie ein eiserner Besen. Die Frieda träumt tatsächlich vom großen, alles bereinigenden Frühjahrsfrühlingshausputz. So hat jeder seine Träume: Der eine träumt von einem Haus, die andere vom Putz, die Frieda träumt vom Hausputz. Was dem einen seine Nachtigall, ist für die Frieda der Staubsauger. Was kann man dagegen tun? Nichts.
Das einzige, was ich tun kann: im Wege stehen, im Wege sitzen, im Wege liegen, aber dann ist es meistens schon passiert, ich bin über irgendeinen der zwei Dutzend Eimer gestolpert, und die Wohnung steht halb unter Wasser, was ja auch wieder nicht Sinn der Sache ist. So etwas haben nämlich die Leute, die unter uns wohnen, nicht gern. Ich gehe dann des öfteren hinunter und sage: „Entschuldigen Sie allerseits, aber ich bin nur wieder einmal über einen Eimer gestolpert, und wenn das Wasser gleich durch Ihre Decke kommen sollte, dann wollte ich Sie doch darauf aufmerksam gemacht haben. So etwas passiert nicht alle Tage, it´s springtime, verstehen Sie.“
Die Leute sind vernünftig, winken mir begütigend zu und sagen: „Machen Sie sich nur keine Sorgen, wir vom Rhein sind Hochwasser gewöhnt.“ „Dann ist es ja gut, und ich wollte auch nicht länger stören Vielleicht sehen wir uns heute noch einmal, wenn nicht, dann ein fröhliches Ostertreiben allzuhauf.“
Dann gehe ich wieder in meine Wohnung zurück und stehe im Weg. „Hallo“, rufe ich der Frieda zu, „hier bin ich, wenn du den Schrubber vielleicht hierhin stellen würdest, könnte ich ihn ausnahmsweise geschickt umgehen. Vielleicht läßt sich das arrangieren, oder ich bringe die Sache vor die Vereinten Nationen.“ Die Frieda reagiert überhaupt nicht. „Was kochst du heute?“ frage ich. „Frühlingssuppe.“ „Was kochst du morgen?“ Keine Antwort. „Was kochtest du doch gestern so Schönes?“ „Dasselbe, was ich morgen koche“, sagt die Frieda. „Na, das ist doch großartig“, sage ich, „eine Suppe macht noch keinen Frühling. Nur gut, daß die Suppe noch nicht durch die Decke gelaufen ist; ich wüßte nicht, wie ich das bei den Leuten anbringen könnte, gegen Hochwasser haben sie nichts, aber ...“ „Spötter kann ich hier nicht brauchen“, sagt die Frieda. „Trag lieber diesen deinen Schreibtisch hier mal hinaus.“ „Soll ich ihn vielleicht über die Teppichstange legen?“ frage ich. „Ist ja nicht mein Schreibtisch“, sagt die Frieda. „Ich werde ihn in die Badewanne legen“, sage ich, „auch ein Schreibtisch will einmal unter die Brause.“ „Da kannst du deine Manuskripte gleich dazulegen“, sagt die Frieda, „die sind mir nämlich viel zu trocken.“
Da klingelt es. Ich öffne. Vor der Tür steht der Herr Hausmeister und sagt: „Ich möchte gern die Blumenkästen auf dem Balkon wieder anbringen, weíl´s ja jetzt ins Frühjahr hineingeht.“ „Da sind Sie bei uns genau richtig“, sage ich, „nur zu, laßt Blumen sprechen, aber die Erde müssen Sie aus den Kästen nehmen.“ „Wieso?“ fragt der Mann. „Meine Frau putzt gerade, und es wäre doch schade um die schöne Erde.“ „Ja, aber ohne die Erde können Sie da doch gar keine Blumen einpflanzen“, sagt der Mann. „Verstehe“, sage ich, „aber wir sind für Schaumgummiblumen, das mit der Erde ist doch längst überholt.“ „Aber jetzt im Frühling ist das doch gerade das Schöne, so die ersten Blumen“, entgegnet der Mann. „Aber meine Frau putzt gerade“, sage ich, „und wenn sie putzt, dann putzt sie richtig. Es täte mir leid um die schöne Blumentopferde, die putzt meine Frau radikal weg, Staubsauger, Sie verstehen, ohne mit der Wimper zu zucken.“ „Was mach“ ich denn da mit den Blumenkästen?“ fragt der Mann schon etwas verwirrt. „Nehmen Sie die Erde heraus, und kommen Sie morgen wieder“, sage ich. „Dann kriegen Sie auch einen Teller leckerer Frühlingssuppe, Sie werden sehen.“ „Ich nehme Sie beim Wort“, sagt der Mann. „Frühlingssuppe muß ja gerade jetzt etwas Herrliches sein.“ „Haben Sie Kinder?“ frage ich. „Alle verheiratet“, antwortet der Mann. „Kann man nichts machen“, sage ich, „aber so eine Frühlingssuppe zur rechten Zeit könnte ich sogar aus einem Blumenkasten essen.“ „Ich auch“, sagt der Mann, grinst und geht.
Ich mache die Tür wieder zu, tue einen Schritt vorwärts und liege der Länge nach in unserem Flur, einen Eimer und zwei Besen mit mir reißend. „Was gibt´s?“, ruft die Frieda aus dem Wohnzimmer. „Ooch, nichts“, sage ich, „ich habe den Flur inzwischen geputzt, alles pico bello jetzt. Ich werde nun den Schreibtisch in die Badewanne werfen.“ „Hilf mir lieber mal bei den Gardinen“, sagt die Frieda. „Wollen wir die Tapeten nicht auch abnehmen?“ sage ich. „Möchte nicht wissen, was hinter den Tapeten vor sich geht.“
Es klingelt erneut. Ich öffne. Vor der Tür steht die Dame, die unter uns wohnt. Ich sage: „Kommen Sie doch bitte in medias res.“ Die Dame sagt: „Ich will ja nicht stören, nur tröpfelt's jetzt bei uns im Flur durch.“ „Das macht nichts“, sage ich. „Sie müssen mir nur sagen, welches Zimmer bei Ihnen noch nicht dran war, wir stellen uns darauf ein.“ „Ja, aber“, sagt die Dame, „wir können alle nicht schwimmen.“ „Wir auch nicht“, beruhige ich sie, „doch in der Not kann man bekanntlich alles. Sie werden sehen, noch ein paar Eimer, und Sie können schwimmen.“ „Meinen Sie das im Ernst?“ fragt die Dame. „Aber, gnädige Frau“, sage ich, „ich werde Sie doch in dieser Situation nicht auf den Arm nehmen! Schauen Sie, meine Frau putzt gerade. Übrigens, wie stehen Sie zu Frühlingssuppe, ja oder nein?“ Die Dame sagt: „Nein.“ „Gut“, sage ich, „dann werde ich Sie jetzt zu meiner Frau führen, kommen Sie.“ Die Frieda ruft: „Ja, was ist? Ach so, Sie sind's, einen Moment, die Leiter ist so wackelig, aber einmal muß es ja gemacht werden.“ Die Dame sagt: „Das sag“ ich ja auch immer, einmal muß es gemacht werden, man kann doch nicht einfach alles so liegen lassen.“ „Nein“, sage ich, „das kann man auch nicht, einfach alles so liegen lassen.“ „Nicht wahr“, sagt die Dame, „und im Frühjahr ist gerade die rechte Zeit dafür.“ „Aber das Frühjahr ist lang“, entgegne ich. „Da haben Sie auch wieder recht“, sagt die Dame. „Gnädige Frau“, sage ich, „wenn Sie noch etwas durch die Decke gegossen haben wollen, klopfen Sie dreimal von unten, Sauberkeit muß halt sein.“
Es klingelt. ich gehe und öffne. Vor der Tür steht erneut der Herr Hausmeister, grinst und sagt: „Einen schönen Gruß vom Hauswirt, und die Blumenkästen müssten heute angebracht werden, und die Erde müßte auch drin bleiben.“ „Das trifft sich gut“, antworte ich, „gerade ist Frau Dings hier, und wir können alle gemeinsam einen Teller Frühlingssuppe essen. Treten Sie doch näher.“ Ich höre, wie die Frieda gerade sagt: „Und stellen Sie sich vor, wir bekamen Besuch, und nichts war gemacht, nein, ich bin bald ...“ „Ja ja“, sagt die Dame, „so ist das immer. Immer wenn man gerade im dicksten Dreck sitzt, dann kommt alles auf einmal.“ „In diesem Sinne“, sage ich, „freue ich mich sehr, Sie alle zu einem leckeren Frühlingssüppchen einladen zu dürfen. Junge Menschen können immer essen.“ Die Frieda sagt: „Wenn nämlich jetzt der Frühling kommt, dann kommt der Sommer, und Sie sollen mal sehen, wie schnell wir Herbst haben; ich darf gar nicht daran denken.“ „So ist es“, sagt die Dame. Der Hausmeister sagt: „Die Blumenkästen sind ja eigentlich eher was fürs Auge, aber immer wieder schön.“ „Blumen muß man lieb gewinnen wie Menschen“, sage ich. Die Frieda sagt: „Und wenn ich ans Einmachen denke.“ „Eine Frühlingssuppe“, sage ich, „ist ja eigentlich auch eher was fürs Auge, aber dann kann man's doch nicht lassen.“ Die Dame sagt: „Man kann das ja alles nicht mehr bewältigen.“
Wie meinen?“ frage ich. „So, ich hab' sie angemacht, jetzt halten sie wieder eine Zeit lang, die Blumenkästen“, sagt der Hausmeister, „bis auf morgen dann.“ „Bis auf morgen“, sage ich, „Löffel nicht vergessen.“ Ich geleite ihn zur Tür hinaus. Auch die Dame steht auf dem Sprung und sagt: „Ich muß ja zu meinen Lieben, wir haben nämlich noch nicht gegessen.“ „Wir auch noch nicht“, sage ich. „Und Petri Heil!“
Die Frieda befördert sie hinaus, und ich begebe mich an den großen Waschkessel, der, noch halb voll Frühlingshausputzsuppe, auf dem Gasherd steht, und ich murmele: „O Frühling, laß diesen Hausputz nebst Suppe mich gut überstehen und ...“, ich höre, wie die Frieda die erste Tapetenrolle herunterreißt und dabei „Was eine Frau im Frühling träumt“ singt. Bei der dritten Tapetenrolle falle ich langsam, aber sehr sicher in Ohnmacht und gedenke, einen langen Frühlingsschlaf zu tun.
 


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung
in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung.

Die Illustration zeigt die Erstausgabe der Frieda-Geschichten im Sanssouci Verlag.