100 Jahre Jugendstil in Wien

Die Kirche am Steinhof von Otto Wagner

von Theo Reisner

Kirche am Steinhof in Wien, Otto Wagner, Altarbild - Foto © Theo Reisner

100 Jahre Jugendstil in Wien:
 
Der hundertste Todestag von Klimt, Schiele, Wagner und Moser
macht den Jugendstil wieder sehr lebendig.
 
Das gibt es wirklich nur einmal  – den einhundertsten Todestag von Gustav Klimt, Egon Schiele, Otto Wagner und Koloman Moser, alle gleichzeitig im kommenden Jahr. Die prägenden Künstler-Persönlichkeiten des Jugendstils werden desalb in Wien von März bis Oktober 2018 als „Jahresthema“ mit einem reichhaltigen Programm gewürdigt – u.a. mit Spezialtouren wie „Der Mann, der Wien modern machte“ (Otto Wagner) oder mit der 12 Meter hohen „Klimt-Brücke“ im Kunsthistorischen Museum, die einen Gesamtblick auf seine bedeutendsten Frühwerke bietet.
Wien war mit zwei Millionen Einwohnern 1910 größer als heute - hier entstand kurz vor dem Untergang der Habsburger Doppelmonarchie die als „Wiener Moderne“ bezeichnete Epoche von 1890 bis 1918. Prägende Persönlichkeiten wie Sigmund Freud mit seiner Psychoanalyse, Arnold Schönberg mit der neuartigen Zwölftonmusik, Gustav Mahler mit modernen Symphonien oder Arthur Schnitzler, Karl Kraus und Peter Altenberg traf man zu dieser Zeit in Kaffeehäusern wie dem Sperl, dem „Central“ oder im „Griensteidl“.


Kirche am Steinhof in Wien, Otto Wagner  - Foto © Theo Reisner

Beispielhaft läßt sich diese lange Zeit als zu verspielt oder kitschig belächelten Kunstform an der Kirche am Steinhof in Wien festmachen, erbaut von Otto Wagner 1904-1907. Sie zählt inzwischen zu den zehn wichtigsten Kirchen des 20. Jahrhunderts auf der Welt und gilt als das sakrale Hauptwerk des Jugendstils. Auch weil sie die allererste „Themenkirche“ im Habsburgerreich ist, die sich streng nach funktionalen Bedürfnissen der Besucher ausrichtet – die waren immerhin Insassen einer geschlossenen Irrenanstalt. Bis 1979 war „der Steinhof“ eine Stadt in der Stadt mit bis zu 2.500 Bewohnern und galt als modernstes psychiatrisches Krankenhaus in Europa. Seit der Renovierung von 2001 bis 2006 gilt die ehemalige Anstaltskirche als ein Sozialbau, der seiner Zeit weit voraus war. Die „Neue Freie Presse“ schrieb am 8.10.1907: „Ist es nicht eine hübsche Ironie des Schicksals, daß so ziemlich das erste vernünftige sezessionistische Gebäude großes Stils in Österreich für die Irrsinnigen gebaut worden ist?“ Allein schon die Lage auf einem Hügel am Stadtrand ist eine Besonderheit – das Kaiserhaus verweigerte nämlich wegen des „abspalterischen“ Stils eine Baugenehmigung im Zentrum und schickte zur Einweihung „nur“ einen Erzherzog. Endgültig in Ungnade fiel Otto Wagner höchstpersönlich allerdings zuvor wegen eines anderen Tabu-Bruchs: Er trat zum evangelischen Glauben seiner Frau über, und das war damals im streng katholischen Kaiserreich natürlich verboten.


Kirche am Steinhof in Wien, Otto Wagner, Altarraum - Foto © Theo Reisner 

Außen leuchten weiße Marmorplatten aus Carrara als Verkleidung, mit sichtbaren Kupfernägeln fixiert, darüber die massive goldene Kuppel. Innen reflektieren einzigartige Glasmosaiken von Koloman Moser (er hat auch die weltberühmten „Wiener Werkstätten“ mitbegründet) das Sonnenlicht. Der Boden steigt in Richtung Altar 28 Zentimeter an, was die Reinigung vereinfacht und alle Holzbänke haben stark abgerundete Ecken zur Verringerung der Verletzungsgefahr. Das Weihwasser kommt „sicherheitshalber“ aus einem metallischen Tropf-Behälter. Eine über drei Meter hohe Wandverkleidung – ebenfalls aus feinstem Marmor - sollte Kritzeleien verhindern. Für zahlungskräftige Patienten wie z.B. für den berühmten Tänzer Wazlaw Nijinskj gab es auch schon damals Extrawürste – in Form einer absperrbaren Abteilung auf der Empore. Zur „Vermehrung der Irrenanstalt aus sich selbst“ wurden u.a. die getrennten Kirchen-Eingänge für Frauen und Männer strengstens bewacht, genauso wie die auffällig zahlreichen Nebeneingänge.
 
Die detailgetreue Zusammenführung aller aktualisierten Ausstellungen und Sonderveranstaltungen nächstes Jahr in Wien rund um den Jugendstil als für Europa maßgebliche Kunstrichtung – mit so viel Lokalbezug – sollte auf großes Publikumsinteresse stoßen.
 
Programm 100 Jahre Jugendstil in Wien (Auswahl):
3.-26.8.18: Klimt ist nicht das Ende – Aufbruch in Mitteleuropa (Unteres Belvedere).
14.3.-29.6.18: Arnold Schönberg & Jung-Wien (Arnold Schönberg Center)
21.3.-7.10.18: Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne (Hofmobilien-Depot)
6-9/18: Die Salonkultur des alten Wien (Ernst Fuchs Museum)
2-10/18: Egon Schiele. Expression und Lyrik im Leopold-Museum/Museumsquartier.
15.3. – 7.10.2018: Otto Wagner, Wien Museum Karlsplatz.
Auf den Spuren eines Weltstadtarchitekten: Postsparkasse, Wienzeile-Häuser, Hofpavillon Hietzing, U-Bahnstationen U4, U6, S 45.(Bauten von Otto Wagner)
Otto Wagners Jugendstilkirche am Steinhof:
Baumgartner Höhe 1, 1140 Wien. Führungen Sa 15h, So 16h (empfohlen). Geöffnet für Besichtigungen: Sa 16-17h, So 12-16h.
Jugendstilführung immer am Mittwoch 14h von April bis Oktober 2018
Gottesdienst: So 9:30 allgemein zugänglich (Kirche im Winter nicht beheizbar).
Info:
www.wien.info, Tel. 0043-1-24555 oder 0043-1-9106011007.