Legenden und Kuriositäten

Halwart Schrader – „Vergessene Autos“

von Robert Sernatini

Legenden und Kuriositäten
 
Halwart Schrader stellt
„Vergessene Autos“ vor
 
Miele“ eine Waschmaschinenmarke? „Pluto der Hund von Micky Maus? „Bitter“ eine Schokoladen-Geschmachsrichtung? „Hexe“ Gundel Gaukeley? „Priamus“ der König von Sparta? Und „Moll“ eine Tonart? Man könnte diese Fragestellung noch fortsetzen – und ja, die oben angegebenen Lösungen sind durchaus richtig. Aber es gibt zu jedem der genannten Namen eine automobile Alternative, denn sie bezeichnen einige der im Orkus der Automobilgeschichte untergegangenen deutschen Marken und Modellreihen, die Halwart Schrader in seinem neuen opulenten Buch „Vergessene Autos“ vorstellt. Mit großer Sachkunde und vielen brillanten historischen Fotografien aus dem eigenen und fremden Archiven führt er Auto-Liebhaber in ein virtuelles Museum der Kraftfahrzeug-Geschichte.

Aber noch mal zurück auf Anfang: „Miele“ baute von 1912-1914 flotte Tourenwagen mit Klappverdeck der Baureihen K.1 bis K.3, Landaulets, Limousinen und Lieferwagen. Nur 125 Automobile liefen in zwei Jahren vom Band. Das flotte „Pluto“-Zweisitzer-Cabriolet lief in Zella-Mehlis im Thüringer Wald von 1924-1927 vom Band und reizte sportliche Fahrer, die sich damit sogar lokalen Rennen stellten. Der „Bitter“ ist hingegen eine moderne Legende – von 1972 bis 2011 baute der Karosseriebauer Erich Bitter in Schwelm bei Wuppertal  auf der Basis des Opel Diplomat V8 den „Bitter CD“, eines der schönsten und rassigsten Autos, die deutsche Straßen je gesehen haben. Später entwickelte er einen eigenen 3,9-Liter-Motor und noch später dienten der Opel Insignia und der Opel Omega als Grundstock für neue Bitter-Modelle.

 
 Auto Union 1000 S - 1958-59

Der Hamburger „Hexe“ war nur ein kurzes Dasein vergönnt. Der Schiffsmotoren-Hersteller Achenbach & Co. unternahm nur von 1905-1907 einen Ausflug in die neue Sparte „Auto“. Seine Hexe „Phaeton“ gab es immerhin als Zwei-, Vier- und Sechszylinder in mehreren Modellen. Ein eleganter, schwerer Wagen seiner Zeit. Aber das war 1907 schon wieder vorbei. Dem luxuriösen „Priamus“ von der ursprünglichen Motorfahrzeugfabrik Köln waren immerhin zwanzig Jahre vergönnt – von 1898 bis 1918 wurde er von wechselnden Herstellern und Markennamen gebaut. Auch der „Moll“ aus dem sächsischen Scharfenstein hatte ein relativ kurzes Leben. Nur wenige Modelle konnten vor dem Konkurs 1927 entwickelt und auf die Straße gebracht werden. Eine Kuriosität war dabei die von Moll entwickelte Federradfelge, die in Zeiten der Kautschukknappheit nach dem Krieg die Gummi-Luftreifen (Pneumatiks) ersetzte.
Der „Orient Express“ übrigens fuhr seit 1874 zwar per Schiene legendär von Paris nach Konstantinopel, aber zwischen 1894 und 1904 auch auf vier Holzspeichenrädern mit 4 PS auf deutschen, englischen und dänischen Straßen. 20 km/h war angesichts dieses holperigen Gefährts eine beachtliche Geschwindigkeit.
 

Halwart Schrader hat 137 Auto-Raritäten von Adler bis Zündapp, von Beckmann bis Trippel, von Glas bis Rumpler zusammengetragen. Legendäre Namen wie Amphicar, Gutbrod, Maybach, Mauser, Sachsenring, IFA, Wartburg, Ro 80, Hansa und Borgward fehlen ebenso wenig wie Raritäten wie Brütsch, Der Dessauer, Mars, VOMAG, Lutzmann, Fafnir und Nacke. Ein zweiter Teil des Bandes beschäftigt sich mit den bedeutenden 24 deutschen Karosserie-Herstellern. Kenner schnalzen mit der Zunge, wenn sie Namen wie AMBI-Budd, Deutsch, Drauz, Hebmüller, Karmann oder Rometsch lesen.
Ein wunderbares Buch für Fachleute und Liebhaber – oder einfach nur zum Blättern und Schmökern. Eine Empfehlung für alle, die Autos lieben.
 
Halwart Schrader – „Vergessene Autos“
© 2017 Motorbuch Verlag, 352 Seiten, gebunden, 23,5 x 30 cm, Index – ISBN: 978-3-613-03996-4
69,- €
 
Weitere Informationen:  www.motorbuch.de