Die Tage des Heimkommens

von Linde Lang

Foto © Frank Becker
Die Tage des Heimkommens
 
Von Linde Lang
 
Der Tag ist schön und noch warm, es ist Herbst. Du bis am Nachmittag in der Sonne gewesen, an einer warmen, altväterischen Hauswand hast du eine Stunde Sommer geträumt, keinen erregenden Sommer, keinen mit Serenade und Moskitonetz, nur einen altväterischen, der Hauswand entsprechenden, mit grünen Fensterläden und ein bißchen Hühnergegacker - und wenn du am Abend nach Hause kommst, freust du dich, daß der Ofen brennt.
     Der Abend kommt rasch, fast ohne Übergang. Geblendet noch von der strahlenden Bläue des Tages betrittst du das Haus, fröstelnd - die Wohnung, das dämmrige Zimmer und nimmst wahr, daß die Dämmerung, die dich umfängt, erwärmt ist: dein zärtlicher Blick ruht auf dem Ofen.
     Wenn du noch einen Ofen hast, bleibst du ein paar Atemzüge lang davor stehen. Angeheimelt entdeckst du die Glut in den Fensterchen - wenigstens erinnerst du dich daran, daß dort, wo jetzt massive Ofentüren angebracht sind, früher Fensterchen waren, hinter welchen man die Glut flackern sehen konnte, horchst (auch wenn es nichts zu hören gibt) dem Krachen der Holzscheite nach, dem Singen eines imaginären Wasserkessels, und auf irgendeine geheimnisvolle Weise zieht dir der Duft von gebratenen Äpfeln und von Zimtsternen in die Nase. Wenn du keinen Ofen hast, knipst du die Neonbeleuchtung an (mit eingebauter Jazzband und lauschst dieser), trittst an die Heizröhre heran, und zärtlich für ein paar Augenblicke ruht deine Hand darauf. Du unterdrückst die Vorstellung von verschüttetem Öl, dessen Duft dir in die Nase steigen könnte.
     Es sind die Tage des Heimkommens. Du bist voll zärtlicher Gefühle zur Rührung geneigt und auch zur Dankbarkeit, du weißt nicht genau, warum und wem. dankbar, der Wirtin vielleicht, die den Ofen angesteckt hat, dem Hausmeister, der die Heizung in Gang brachte, dir selbst, der du die Kohle bestellt hast. Du denkst noch nicht an die Rechnung, noch nicht an den jährlichen Ärger mit dem Hausherrn, der miserabel heizen läßt und dich übernimmt, oder du denkst auch daran, aber all das scheint dir gering; du denkst an den Winter, aber du glaubst noch nicht an ihn, von deiner warmen sonnigen Hauswand aus kokettierst du ein bißchen mit ihm.
     Es sind die Tage des Menschen: die Tage, an denen er die Unbekümmertheit der Kreatur verläßt, die freie Wildbahn des Sommers, nach Schutz und Geborgenheit Ausschau haltend - wie alle Kreatur, aber bewußt seiner Schwäche und Schutzbedürftigkeit, bewußt auch seiner Vorsicht, die Höhle suchend, aber noch nicht ihr Sklave, noch ihr Sieger in der strahlenden Bläue des Tages, frei noch in der Wahl oder doch glaubend an die Wahl - ein Mensch.
 
 
Wir fanden diesen gedankenvollen kleinen Text auf einem undatierten Zeitungsausschnitt ohne Quellenangabe. Die genannte Autorin Linde Lang war nicht zu ermitteln. Wir haben alle zur Verfügung stehenden Quellen befragt und konnten doch niemanden finden, der uns hätte Auskunft geben können. Sollten Sie einen Hinweis auf die Autorin oder Rechteinhaber für uns haben, bitten wir um Nachricht.