Bericht aus der islamischen Steinzeit

Manal al-Sharif – „Losfahren“

von Steffi Engler

Bericht aus der islamischen Steinzeit
 
Eine Frau schildert das wahre Leben in Saudi-Arabien
 
Manchmal holt die normative Kraft des Faktischen die eben noch gültige Wirklichkeit ein und macht sie zum Prä-Faktischen. Kaum lag Manal al-Sharifs mutiges Bekenntnis „Losfahren“ über das hirnrissige saudisch-islamische Verbot des Autofahrens für Frauen auf dem Tisch, erreichte die erstaunte Welt die Nachricht, der saudische König Salman habe in Aussicht gestellt, in Kürze Frauen das Autofahren zu gestatten. Toll, sag ich da und dankeschön – bis gestern wurden Frauen für dieses „schwere Delikt“ ausgepeitscht und eingesperrt, jetzt „erlaubt“ ein selbstherrlicher Mann, ihnen großzügig, ein Auto zu lenken. Natürlich ein Mann, denn Frauen haben im Islam nichts zu melden, sind völlig rechtlos. Wirklich super!
Nein, damit sollte man sich keinesfalls Sand in die Augen streuen lassen, so lange noch in solchen Staaten – Saudi-Arabien steht ja nicht alleine da – z.B. eine vergewaltigte Frau wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs bestraft und von der eigenen Familie ausgestoßen wird und Männer ihre Frauen schlagen dürfen. Umgesetzt ist der Plan noch nicht, aber immerhin, ein winziges Schrittchen voran mag es dann vielleicht sein.
 
Aber nun zu dem Buch, das ich Ihnen hier vorstellen möchte, mit dem die saudische Informatikerin Manal al-Sharif den Finger in die offenen Wunden der islamischen Gesellschaft legt. Sie gilt als eine der wichtigsten Vorkämpferinnen für Frauenrechte in der islamischen Welt. Das Rückgrat dazu ist ein wenig auch Erbteil ihrer Mutter, die sich und ihren Töchtern als in Ägypten aufgewachsene geborene Libyerin wenigstens in ein paar „Freiheiten“ ertrotzt hat, wenn sie sich auch ansonsten dem strengen Regiment des wahabitischen Islam unterwarf.
„Ihre aufregende und offene erzählte Lebensgeschichte ist beides, ein Dokument der Unterdrückung und der Befreiung“, schreibt der Verlag treffend dazu und: „Als letztes Land der Erde verbietet Saudi-Arabien  den Frauen das Autofahren. Ein Gesetz gibt es nicht, nicht einmal eine religiöse Begründung. Es ist eine Frage der Macht in einer Gesellschaft, in der Frauen weitgehend rechtlos sind und für alle wichtigen Lebensentscheidungen einen männlichen Vormund brauchen, gleichgültig, ob es der Ehemann, der Vater oder der kleine Bruder ist.
Manal al-Sharif hat dieses Vormundschaftssystem und damit die Männer herausgefordert: Die Computerexpertin war es leid, ihren Bruder fragen zu müssen, wenn sie in ihrem eigenen Wagen zu einem Geschäftstermin gefahren werden wollte. Sie setzte sich selbst ans Steuer, ließ sich dabei filmen und stellte dieses Dokument des zivilen Ungehorsams ins Internet. Neun Tage saß sie dafür im Gefängnis. Und es wären wahrscheinlich viele mehr gewesen, wenn nicht ein weltweiter Proteststurm sie befreit hätte. „Losfahren“ erzählt aus erster Hand von diesem Aufstand im Auto, mit dem Manal al-Sharif eine Frauenbewegung in Gang setzte, die den Gralshütern des Patriarchats im Königreich immer mehr zu schaffen macht.
Aber ist viel mehr als das. Selten gab ein Buch so tiefe Einblicke in den streng geregelten Alltag einer saudischen Familie. Offen und eindringlich schildert Manal al-Sharif ihre Kindheit und Jugend, in der sie auf dem Weg war, eine vom Salasfismus beeinflußte radikale Muslima zu werden, die das Elternhaus von „unreiner“ Musik säuberte und sogar die Musik-Kassetten ihres Bruders im Ofen einschmolz. Die Helden dieser Generation waren die islamistischen Extremisten wie Osama bin-Laden, die Vorläufergeneration des heutigen Terrors, die den nach ihrem Verständnis zu liberalen Staat auf ihre Weise herausforderten. Am eigenen Leib erlebt Manal al-Sharif die Widersprüchlichkeit des in wenigen Jahrzehnten zu immensem Reichtum gelangten Landes. Trotz bester Schulnoten wurde sie zu Hause immer wieder verprügelt, sie wurde als kleines Mädchen beschnitten, sie mußte um ihren Platz an der Uni kämpfen, wo sie getrennt von männlichen Kommilitonen unterrichtet wurde, und als sie bei der staatlichen Ölfirma Aramco gemeinsam mit Männern in einem Büro arbeitete, wurde sie als Flittchen beschimpft. Nach ihrem öffentlichen Protest gegen die Unterdrückung von Frauen mußte Manal al-Sharif ihre Stelle wegen endloser Anfeindungen aufgeben und ins benachbarte Dubai auswandern. Mit ihrem fortgesetzten Engagement für Menschenrechte will sie den Frauen ihres Heimatlandes Mut machen, für ihre Selbstbestimmung zu kämpfen: „Ich glaube, dass Kinder nicht frei sein können, wenn ihre Mütter nicht frei sind, Eltern können nicht frei sein, wenn ihre Töchter es nicht sind, Ehemänner können nicht frei sein, wenn ihre Ehefrauen es nicht sind, die Gesellschaft ist nichts wert, wenn Frauen nichts wert sind. Wir kämpfen nicht darum, Auto zu fahren, wir kämpfen darum, unser Schicksal in die Hand nehmen zu können.“
 
Hier finden Sie ein Interview mit Manal al-Sharif zu ihrem ungemein wichtigen und erhellenden Buch, das die tatsächlichen Gegebenheiten und das Leben der Frauen in einem der dank seines Öls reichsten und aufgrund seines Steinzeit-Islam ungerechtesten Länder der Erde schildert. Saudi-Arabien, wichtiger Wirtschafts- und Militärpartner der USA und Europas hat mehr als dringend eine grundlegende Reform im Denken und Handeln nötig. Wer dieses gesellschaftlich vorsintflutliche Königreich romantisiert, hat den Schuß nicht gehört.
 
Manal al-Sharif – „Losfahren“
(Daring to Drive)
Aus dem Englischen von Gesine Strempel unter Mitarbeit von Joachim von Zepelin
© 2017 Secession Verlag, 379 Seiten, gebunden  -  ISBN: 978-3-906910-10-9
25,- €(D) / 25,70 €(A)
 
Weitere Informationen:  www.secession-verlag.com