Trotz gefälschter Holcaust-Biographie zeigt die Kunsthalle Recklinghausen weiter die Arbeiten von Rosemarie Koczÿ

Die Künstlerin hatte behauptet, Jüdin aus einer unter den Nazis verfolgten Familie zu sein

von Andreas Rehnolt/Bec.

Die Künstlerin Rosemarie Koczÿ
täuschte eine Holocaust-Biografie vor
 
Werke der in Recklinghausen geborenen angeblichen Jüdin befinden sich unter anderem im Guggenheim-Museum New York und in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vahem in Jerusalem
 
Als angebliche Jüdin und KZ-Überlebende beschäftigte sich die 1939 in Recklinghausen geborene Künstlerin Rosemarie Koczÿ mit dem Holocaust. Nun ist die Stadt Recklinghausen zu der Erkenntnis gelangt: Koczÿ hat ihre Biografie jahrelang vorgetäuscht. Wie das Stadtarchiv jüngst erklärte, habe die 2007 in den USA gestorbene Künstlerin falsch angegeben, Jüdin und in einem Konzentrationslager gewesen zu sein.
Koczÿs gefälschter Lebenslauf sei anläßlich einer Ausstellung von mehr als 100 Arbeiten aufgefallen, die sie der Stadt Recklinghausen vermacht hatte, heißt es. Ihr Name sei nicht im Opferbuch der Stadt verzeichnet, sagte der Leiter des Stadtarchivs, Matthias Kordes. Die Nachforschungen in Standesamts- und Melderegistern hätten ergeben, daß sie selbst sowie ihre Eltern und Großeltern römisch-katholisch waren. „Sie selbst ist katholisch getauft“, so Kordes.
Auch die Angabe der Künstlerin, wonach sie als Kind im KZ-Traunstein - einem Außenlager des KZ Dachau - gewesen sein soll, sei nicht zu belegen. „Das war ein reines Männerlager. Da gab es keine Kinder“, sagte Kordes weiter. Der Direktor der Kunsthalle Recklinghausen, Hans-Jürgen Schwalm, verteidigte dagegen die Künstlerin: „Sie hat eine ernstzunehmende Ausstellung hinterlassen.“ Koczÿ habe sich auch erst Anfang der 90er Jahre eine jüdische Identität gegeben. Aus der falschen Identität habe sie keinen Profit gezogen. Was sie dazu verleitet habe, wisse man nicht.
Die Werke von Rosemarie Koczÿ finden sich heute unter anderem im Guggenheim-Museum in New York sowie in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Ein Sprecher von Yad Vashem wollte sich zu den Berichten am Mittwoch nicht äußern. Seit Mitte der 1980er Jahre lebte die Künstlerin in den USA.
Im Zentrum der bis zum 19. November angesetzten Schau mit Werken der Künstlerin in der Kunsthalle Recklinghausen stehen Tuschezeichnungen aus dem Zyklus „Ich webe Euch ein Leichentuch“, mit dem die Künstlerin an die Opfer des Holocaust erinnern wollte. Georg Möllers, Historiker und Dezernent der Stadt Recklinghausen, war der Fälschung auf die Spur gekommen, als er ein Online-Gedenkbuch initiierte.
Seine Recherchen ergaben demnach, daß Koczÿ ein tragisches Kinderschicksal hatte, in einer zerrütteten Familie aufgewachsen und zeitweilig im Kinderheim im Münsterland untergebracht war.
 
Die Ausstellung in Recklinghausen ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Kunsthalle Recklinghausen - Große-Perdekamp-Str. 25-27 - 45657 Recklinghausen - Tel: 02361 - 501937 
 
Eine Stellungnahme der Kunsthalle Recklinghausen nach einer Podiumsdiskussion zu der Entdeckung von Rosemarie Koczÿs gefälschter Autobiographie:
 
Seit den 1990er Jahren hat Rosemarie Koczÿ eine dreibändige, am Ende ihres Lebens rund tausend Seiten umfassende Biografie verfasst, in der sie ihre Kindheit in einer jüdischen Familie und ihre Deportation durch die Nationalsozialisten schildert. Da die Stadt Recklinghausen ein umfangreiches Online Gedenkbuch zum Andenken an die Opfer und Verfolgten des Nationalsozialismus führt, sollte mit der Ausstellung in der Kunsthalle auch ein Eintrag Rosemarie Koczÿs in dieses Gedenkbuch erfolgen. In den entsprechenden Listen und Registern über die Deportation Recklinghäuser Juden fand sich kein Eintrag über die Familien von Rosemaries Eltern Karl Koczÿ und Martha Wüsthoff. Als darüber hinaus Unstimmigkeiten in den biografischen Schilderungen bemerkt wurden, entschloß sich die Stadt Recklinghausen zu weiteren Recherchen, an denen neben der Kunsthalle Recklinghausen auch Dr. Matthias Kordes, Leiter des Stadt und Vestischen Archivs, und Georg Möllers, 1. Beigeordneter der Stadt Recklinghausen und als Historiker verantwortlich für das Online Gedenkbuch, beteiligt waren. In einer Podiumsdiskussion am 8. November 2017 wurden folgende Ergebnisse vorgestellt: In den Standesamts-, Meldeamts- und Kirchenregistern sind Rosemarie Koczÿ und ihre Vorfahren als römisch katholisch gelistet. Für Rosemarie Koczÿ gibt es Einträge in den Kirchenbüchern der Gemeinde Sankt Peter Recklinghausen, u.a. ihre Taufe und Firmung betreffend. Die Heiratsurkunde der Eltern Martha Wüsthoff und Karl Koczÿ aus dem Jahr 1938 enthält den Hinweis „deutschblütig“ für beide Eheleute. Für das Uhrmachergeschäft des Großvaters Robert Wüsthoff, über das sie schreibt, es sei in der Pogromnacht im November des Jahres 1938 zerstört worden, findet sich im Jahr 1943 ein Eintrag im Telefonbuch. In den Namenslisten und Zugangsbüchern des KZ Dachau findet sich kein Hinweis auf Rosemarie Koczÿ, ebenso wenig erbrachte die Recherche in Bad Arolsen (https://www.its-arolsen.org/archiv/) einen Nachweis. Es ist somit anzunehmen, daß Rosemarie Koczÿs seit den 1990er Jahren verfaßte Biografie keine Grundlage hat. Warum die Künstlerin im Alter von rund fünfzig Jahren eine jüdische Identität annahm, bleibt hypothetisch. Rosemarie Koczÿ hat ein höchst originäres und sich konsequent entwickelndes Werk hinterlassen, das sich auch nach der Annahme einer jüdischen Identität Anfang der 1990er Jahre nicht veränderte. Auch danach hat sie kein Ich-bezogenes Narrativ entwickelt, sondern hielt ihre Zeichnungen, Gemälde und Reliefs in derselben Balance von emotionaler Nähe und intellektueller Distanz wie schon zuvor. Das Team der Kunsthalle Recklinghausen sah bisher keinen Anlaß, die Ausstellung Rosemarie Koczÿs zu verändern oder zu revidieren. Die Werke bleiben auch weiterhin eine künstlerisch überzeugende Auseinandersetzung mit den Nachtseiten der menschlichen Existenz und den großen Tragödien des 20. Jahrhunderts, allem voran mit dem Holocaust. Rosemarie Koczy hat eindringlich Bilder dafür gefunden, die ihre Würde auch jetzt nicht einbüßen.
 
Anm.d.Red.: Daß die Schamlosigkeit der Künstlerin, die wahrscheinlich erst durch ihre falsche Biographie auf dem Rücken von Millionen ermordeter und verfolgter Juden auf sich aufmerksam machen konnte, offenbar folgenlos bleibt, strapaziert unser Verständnis arg.