Zwei Protagonisten des Expressionismus im Kirchner Museum Davos

Ernst Ludwig Kirchner und Oskar Kokoschka

von Jürgen Koller

Oskar Kokoschka, Selbstbildnis von zwei Seiten,1823
Kirchner Museum Davos
Ernst Ludwig Kirchner
und Oskar Kokoschka
Erstmals in einer Ausstellung
gegenübergestellt
 
Das Kirchner Museum Davos hat erfolgreich den Versuch gewagt, die beiden Protagonisten des deutschen und österreichischen Expressionismus Ernst Ludwig Kirchner (1880 -1938) und Oskar Kokoschka (1886 – 1980) in einer Ausstellung einander gegenüber zu stellen. Beider Biografien überschneiden sich in ihren frühen Anfängen im Jugend- bzw. Sezessionsstil, in den traumatischen Erlebnissen des 1. Weltkrieges, in Wirkungsorten wie Dresden und Berlin und in der Stigmatisierung als „entartete Künstler“ durch die Nationalsozialisten im Jahr 1937. Für die beiden herausragenden Persönlichkeiten des Expressionismus spielt darüber hinaus die Schweiz eine wichtige Rolle – einerseits als Lebens- und Kunstraum und andererseits befinden sich beider Nachlässe in der Schweiz.
 
Trotz seiner Studien an der Wiener Kunstgewerbeschule begann Kokoschkas künstlerischer Weg zuerst als Dramatiker und Dichter. Dem Einfluß von Adolf Loos ist es zu danken, daß er den vorherrschenden Jugendstil generell ablehnte. Schon in seinen frühen expressiven Porträtgemälden spiegelt sich diese Haltung wider. Die großartigen Porträts kranker Adliger im Lungensanatorium Mont Blanc in Leysin wurden schon damals für deutsche Museen interessant. Durch das Werk van Goghs erfuhr er, wie viele deutsche Künstler seiner Zeit, tiefe Erschütterungen. Doch „bei ihm übertraf das intensive Bildwollen weit sein künstlerisches Vermögen“, schreibt Paul Vogt. Und so „nutzte er diese Diskrepanz zur Steigerung der Intensität des Ausdrucks, suchte er doch nicht schöne Malerei, sondern unmittelbare Bannung bedrängender Erlebnisse und Eindrücke...“. Am Menschen interessierte ihn das Wesen mehr als sein Äußeres. Für die künstlerische Entwicklung waren die Bekanntschaft mit Herwarth Walden und die zeichnerische Mitarbeit an dessen expressionistischer Kunstzeitschrift Der Sturm von prägender Bedeutung. Im Ergebnis der künstlerisch-malerischen Aufarbeitung seiner gescheiterten Liebesbeziehung zu Alma Mahler schöpfte er „die Möglichkeiten des Expressionismus bis an dessen Grenzen aus. Das bestürzende seiner (Figurenbilder), ihre fast unerträgliche

Ernst Ludwig Kirchner, Sebsbildnis 1934/37
psychologische Beladenheit geht schon von der Handschrift aus, es spricht aus den verwirrenden Zuckungen des Pinsels, aus den nervösen Kurvaturen der Linien, aus der zähen, manchmal wie haltlos auf der Leinwand sich breitende Farbe.“(P.V.) Zu Kriegsbeginn meldete er sich freiwillig zum K.u.k. Dragonerregiment „Erzherzog Joseph“ Nr. 15. Zwei schwerste Verwundungen bei Einsätzen in Galizien und in der Ukraine – einen Kopfschuß und einen Bajonettstich in die Lunge - überlebte er knapp. Nach seiner Demobilisierung übersiedelte er 1917 nach Dresden. Von 1919 bis 1926 hatte er dort eine Professur an der Kunstakademie inne. Aber schon 1924 ließ er sich freistellen, um ausgedehnte Reisen durch Europa, Nordafrika und in die Levante zu unternehmen. Diese Reisen inspirierten Kokoschka zu zahlreich bekannten Städteporträts und Landschaftsbildern.
 
Auch für Ernst Ludwig Kirchner, der sich gleichfalls 1914 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatte, hielt dieser Schritt schwerwiegende Folgen bereit. Dem brutal-harten Drill war der sensible Künstler nicht gewachsen. Er geriet in die Abhängigkeit von Medikamenten, (anfangs Veronal, später Morphin). Besonders sein „Selbstbildnis als Soldat“, mit (fiktiv) amputierter Malhand, spiegelt die Verzweiflung des Künstlers wider. Nach einem Kuraufenthalt in Königstein im Taunus übersiedelte er 1917 in die Schweiz, nach Davos. Kirchner gelang es, mit eisernem Willen und durch Unterstützung des Schweizer Ehepaares Spengler seine Lähmungserscheinungen und die Medikamentenabhängigkeit bis zum Jahre 1921 zu überwinden. In den Jahren vor dem Krieg galten Kirchners Berliner Straßenbilder als Höhepunkt seines expressionistischen Schaffens, gelang es ihm doch „wie keinem anderen Künstler der Moderne, die Verführungen und Zumutungen des metropolitanen Lebens künstlerisch zu erfassen“. Um die monumentale Davoser Bergwelt, den Reichtum der vielgestaltigen Landschaft künstlerisch zu reflektieren, bedurfte es einer strengeren Bildordnung und neuer formaler Zeichen – Kirchner selbst sprach von „Hieroglyphen“. Dieser neue Bildrhythmus entstand in den zwanziger Jahren durch ein „unmittelbares Nebeneinander statischer und dynamischer Bildelemente, wie z.B. Winkel und Zeichen“. Ein neuer Abschnitt in Kirchners Malerei, der ab 1927 einsetzte, betonte ein lineares und konstruktives Grundmuster mit ornamentalen Formelementen. Der Künstler näherte sich Braque und Picasso, bestritt das nicht, aber er verwahrte sich strikt dagegen, dies als Abhängigkeit von französischen Vorbildern zu werten. In den Jahren vor seinem Freitod 1938 steigerte sich Kirchners Interesse am Figürlichen wieder, seine Kunst blieb sensibel und emotional. Wie unterschiedlich die Sichtweisen, ebenso die formalen und malerischen Mittel beim Erfassen der Schweizer Bergwelt waren, belegen beispielhaft Kirchners „Tinzenhorn - Zügenschlucht bei Monstein“ (1919/20) und Kokoschkas „Matterhorn II“ (1947).
Obwohl Kirchner ein schwieriger Mensch war, dessen Mißtrauen ans Pathologische grenzte, konnte er doch auch charmant und gewinnend sein. Und so ist die Feststellung belegt und untermauert, daß sich beide Künstler respektierten und einander schätzten. 1928 schrieb Kirchner an den Kunsthistoriker Will Grohmann: „Im Suchen nach der Form unserer Zeit stehen wir uns sicher nahe, ebenso wie Klee, Kandinsky, Kokoschka, Nolde.

E.L. Kirchner, Tinzenhorn - Zügenschlucht bei Monstein, 1919-20

Es ist schwer zu sagen wo das Gemeinsame liegt(...). Wo die Groteske anfängt wieder ernst zu werden, jenseits der gesehenen Form reichen wir uns die Hände.“ Und Kokoschka sagte 1947 in einem Interview, das der Schweizer Schriftsteller Walter Kern 1947 mit dem Künstler führte: „Man weiß noch gar nicht, was die deutsche Malerei bedeutet. Man spricht immer nur von den Franzosen und vergißt den gewaltigen Beitrag an die europäische Kunst(...) Man weiß gar nicht, was Ernst Ludwig Kirchner und Otto Mueller für die europäische Malerei waren.“
Die Ausstellung in Davos versammelt Zeichnungen, Aquarelle, Druckgrafiken und Gemälde der beiden Künstler. Sie konzentriert sich auf die Jahre 1905 bis 1938. Die Schau ist eine Kooperation des Kirchner Museums Davos mit der Fondation Oskar Kokoschka und wurde von Régine Bonnefoit und Thorsten Sadowsky kuratiert.

Allgemeine Informationen
Ausstellungsdauer: 19.November 2017 - 22. April 2018
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag, jeweils 11 bis 18 Uhr, Montags geschlossen
Öffentliche Führungen: Dienstags und sonntags jeweils um 16 Uhr
Private Führungen: Anmeldung unter Tel. +41(0)81 410 63 00
Weitere Informationen: www.kirchnermuseum.ch

Oskar Kokoschka, Matterhorn II, 1947

Bildlegenden:
A / Ernst Ludwig Kirchner (1880 -1938), Selbstbildnis, 1934/1937, Öl auf Leinwand, 84 x 61 cm
Bündner Kunstmuseum Chur, Ankauf mit einem Beitrag des Bündner Kunstvereins
B/ Oskar Kokoschka (1886 -1980), Selbstbildnis von zwei Seiten, 1923, Farblithographie, 70 x 49,7 cm, Musée Jenisch Vevey – Fondation Oskar Kokoschka © Fondation Oskar Kokoschka / 2017, ProLitteris, Zurich, Foto: Julien Gremaud
C/ Ernst Ludwig Kirchner (1880 -1938), Tinzenhorn - Zügenschlucht bei Monstein, 1919-1920
Öl auf Leinewand, 119 x 119 cm, Kirchner Museum Davos, Schenkung Lea Steegmann-Morosani, Davos ©Kirchner Museum Davos / Stephan Bösch
D/ Oskar Kokoschka (1886-1980), Matterhorn II,1947, Öl auf Leinwand, 90 x 120 cm,
Privatbesitz Schweiz © Fondation Oskar Kokoschka / 2017, ProLitteris, Zurich