Premio Cervantes für Sergio Ramirez

von Hermann Schulz

Sergio Ramirez - Foto © Hermann Schulz
Premio Cervantes für
Sergio Ramirez
 
Von Hermann Schulz
 
In diesen Tagen ging die Nachricht durch die Weltpresse, daß der nicaraguanische Schriftsteller Sergio Ramírez Mercado den Premio Cervantes bekommt. Die höchste literarische Auszeichnung der spanischsprachigen Welt. Spontan verschickte ich eine kleine Notiz an meine Freunde. Daraufhin schlug mir Hartmut Dreier vor, die nächste Kolumne in AMOS Sergio zu widmen.
Das mache ich umso lieber, als Ramírez als Autor in Deutschland nie angemessen gewürdigt wurde und seine Bücher es schwer haben und hatten. Da geht es ihm wie dem weltberühmten Julio Cortázar. Als er starb, war ich zufällig in Spanien und fand die Nachricht in allen Medien auf Seite 1; bei uns gab es kleine Notizen im Feuilleton und nur wenige angemessene Würdigungen.
Durch meine Beziehungen zu Nicaragua, vor allem weil wir in Wuppertal das Werk von Ernesto Cardenal verlegten, habe ich Sergio kennengelernt, ebenso wie Julio Cortázar – und zahlreiche Schriftsteller aus aller Welt. Sergio traf ich 1970 in Salzburg bei einem Seminar, wo auch Ivan Illich (an den sich hoffentlich noch einige unter den AMOS-Leserinnen und Leser erinnern) sprach und wo ich die damals noch wenigen Kenner und Kämpfer für die lateinamerikanische Literatur traf. Für mich waren solche Begegnungen wie das Öffnen eines großen hellen Fensters in eine Wunderwelt.
1972 traf ich Sergio wieder in Costa Rica, er war Präsident des Universitätsverlages, in seinem Büro fand auch die erste Begegnung mit dem unvergleichlichen Dichter Carlos Martínez Rivas statt, über den ich bereits in AMOS geschrieben habe. Bei der Gelegenheit bat ich Sergio, für uns eine Biografie zum Freiheitskämpfer Augusto C. Sandino zu schreiben; sein einzig erfolgreiches Buch bei uns, denn hier fand die Solidaritätsbewegung, die ab 1976 aktiv wurde, ihre Grundlagen über die Geschichte von Diktaturen, Morden, Verrätereien und den Kämpfen um die Freiheit. Er war immer ein politischer Autor, auch in seinen zahlreichen Romanen, immer mit einem Blick auf Geschichte und Kultur seines Landes. Man kann sagen, er ist ein ‚Heimatautor‘ für die ganze Welt.
 
In den 70er Jahren lebte Sergio zwei Jahre lang in Berlin als Stipendiat des DAAD, er übersetzte (noch aus dem Manuskript) mein Buch „Ein Land wie Pulver und Honig“, Bericht von meiner langen Reise durch Nicaragua im Jahr 1972, kurz vor dem verheerenden Erdbeben. Wir verlegten im Peter Hammer Verlag seine Erzählungen und Romane, betreut und zum großen Teil übersetzt von Lutz Kliche, der bis heute ein einsamer Kämpfer auf dem deutschen Buchmarkt für Sergios Werk ist. Es war nicht immer leicht für ihn, Verlage von dem grandiosen Werk zu überzeugen.
1978 bildete sich die „Gruppe der Zwölf“ als Teil des Widerstandes gegen den Diktator Anastasio Somoza, an der Spitze Sergio Ramírez. Da sammelten sich Intellektuelle und Geschäftsleute als ‚ziviler Teil‘ des Kampfes um die Befreiung. Im Frühjahr 1979 beschloß diese Gruppe, trotz aller Repressionen des Diktators, nach Nicaragua zu gehen, um ein Zeichen für die Bevölkerung zu setzen. Sergio schrieb mir eine Postkarte noch aus Costa Rica: „Wir müssen befürchten, daß sie uns einfach umbringen.“
Er gehörte dann nach dem Sieg der Revolution am 19. Juli 1979 der ersten Regierung an und wurde nach den Wahlen Vizepräsident (bis ihn Daniel Ortega in den 1990er Jahren auf unsägliche Weise kaltstellte). Er verließ die Revolutionspartei FSLN und widmete sich dem Schreiben seiner Bücher. „Adios Muchachos“, auch im Peter Hammer Verlag, war keine Abrechnung, sondern ein nobler Rückblick auf das Geschehen seit Beginn des Aufstandes.
Heute ist Sergio Ramírez ein in aller Welt angesehener Autor und eine literarische Autorität. Mit dem von ihm gegründeten und bis heute geleiteten Literaturfestival „Centroamerica Cuenta“ gelang ihm erstmals in der Geschichte, die erzählende Literatur Zentralamerikas in ihrer ganzen Bedeutung öffentlich zu machen, ohne in Provinzialität zu fallen.
 
Beim Zurückblicken auf die fast 50 Jahre der Freundschaft mit ihm wird mir noch einmal deutlich, was ich ihm verdanke. Bei der gemeinsamen Reise mit Günter Grass, Johano Strasser und Franz Alt 1982 war er der wichtigste Ansprechpartner. Bezeichnend ist, was meine Tochter Katrina rückblickend erzählt: „Unter all den Typen um Cardenal herum war er der einzige, der uns als Kinder wahrgenommen und so mit uns geredet hat!“
Nicht einmal seine schlimmsten politischen Feinde versuchten, ihm Korruption anzuhängen. Ein Vorwurf, von dem man nicht alle ‚Revolutionäre‘ freisprechen kann. Sein zuletzt bei uns erschienenes Interview über die politisch katastrophale Situation in Nicaragua unter Ortega und seiner Frau Rosario Murillo findet man im Nicaragua-Buch von Hannes Bahmann im Christoph Links Verlag.
Die FAZ bezeichnete schon in den 80er Jahren Sergio Ramírez als einen der wichtigsten Intellektuellen Lateinamerikas.
Er ist nicht nur das! Eine glaubwürdige noble Persönlichkeit. Ein großartiger Autor, dessen Werk es verdient hätte, daß es auch bei uns mehr gelesen wird.
Das schreibt in Dankbarkeit sein Freund und ehemaliger Verleger in Gedanken an zahlreiche Begegnungen.
 
 
Hermann Schulz leitete von 1969 bis 2001 den Peter Hammer Verlag in Wuppertal. Er bereiste Nicaragua mehr als fünfundzwanzig Mal als Verleger und Mitglied der Solidaritätsbewegung für die Befreiung Nicaraguas. Zuletzt erschien „Die Reise nach Ägypten“(dtv/hanser), eine nicaraguanische Weihnachtserzählung.