Perspektiven: Zwei Leben im 3. Reich

André Postert: „Hitlerjunge Schall“ - Manfred Hoese: „Braunes Hemd und leerer Magen“

von Robert Sernatini

 

         

 

André Postert – „Hitlerjunge Schall“  
Manfred Hoese - Braunes Hemd und leerer Magen

Perspektiven
 
Zwei Leben im 3. Reich
 
Unterschiedlicher könnten die Lebensentwürfe zweier junger Menschen unter der Hakenkreuzflagge des 3. Reichs wohl kaum sein, als die von Manfred Hoese und Franz Albrecht Schall. Zwar im Alter 15 Jahre auseinander haben doch beide die politischen und gesellschaftliche Entwicklung in den 12 Jahren des „Tausendjährigen Reichs“ bewußt und mit diametral auseinander liegender Sozialisation erlebt.

Der ältere der beiden, Franz Albrecht Schall (1913 in einer thüringischen Kleinstadt als Sohn von Gymnasiallehrern geboren), zur Zeit der Machtübernahme der Nationalsozialisten knapp 20 Jahre alt, war als glühender Anhänger einer völkischen Jugendbewegung bereits 1930 in die Hitlerjugend eingetreten. Ab 1932 Mitglied der NSDAP startete er eine Karriere als linientreuer Jugendführer und Erzieher an Adolf-Hitler-Schulen. Der Vater war mit Hermann Hesse befreundet und verfolgte besorgt die Krise der Demokratie.
Der Historiker André Postert ist im Rahmen seiner Forschung zur Jugend im Nationalsozialismus auf die Tagebücher Franz Albrecht Schalls (1913-2001) gestoßen und hat sie mit weiteren Dokumenten zu einem fesselnden Buch über die Verführung einer Generation zusammengestellt: „Hitlerjunge Schall“. Den Nationalsozialismus mit den Augen und in den echten Aufzeichnungen eines Jugendlichen dieser Zeit zu sehen, einen jungen Mann im Sog des Nationalsozialismus zu beobachten, ist gleichermaßen erschütternd wie faszinierend: Massenaufmärsche, politische Vorträge und Propagandafahrten sind ebenso festgehalten wie die persönlichen Eindrücke von Adolf Hitler. Während der Vater wegen Kontakten zur Opposition verhaftet wurde, machte der Sohn Karriere in der NS-Diktatur. Fast bis Kriegsende war sein Glaube an das NS-Regime ungebrochen.

André Postert – „Hitlerjunge Schall“
Die Tagebücher eines jungen Nationalsozialisten - Das einzige erhaltene Dokument dieser Art
© 2016 dtv Sachbuch, 360 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag, 8 Seiten mit Illustrationen  ISBN 978-3-423-28105-8
24,00 € [DE], 24,70 € [A]
Weitere Informationen: www.dtv.de
 
 
Manfred Hoese, der 1928 geborene Jüngere hingegen könnte glatt einer der später durch Franz Albrecht Schall indoktrinierten Jungs gewesen sein, war er doch nach der Volksschule ab 1942 Schüler eines NS-Internats. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er im kommunistischen Bergarbeiter-Milieu von Gelsenkirchen-Rotthausen. Sein Vater geht auf Zeche und schimpft zu Hause auf den „scheiß Adolf“. In seinem autobiographischen Roman „Braunes Hemd und leerer Magen“ beschreibt Manfred Hoese zum Anfassen nah die Auseinandersetzungen der Roten mit den Braunen, die sich in seinem Viertel nicht blicken lassen durften, die Kinderspiele und die ersten Kontakte zu den Braunen. Nach der „Machtergreifung“ wurde dann alles etwas anders. Infiziert u.a. von „Stürmer“-Lektüre marschiert er, vielleicht weil er nicht Pfadfinder sein durfte, nachdem die Nazis die verboten hatten, im Braunhemd in der Hitlerjugend mit, geht auf ein NS-Internat und „kommt durch“.
Vom Volkseintopf bis zu den Steckrüben - Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet, Kriegseinsatz als 16jähriger Dienstverpflichteter an der Westfront, Hamsterfahrten der Nachkriegszeit – Manfred Hoese beschreibt das 3. Reich und seine Folgen aus einer Perspektive „von unten“ - ein Roman, der Geschichte lebendig macht.

Nach zwölf Jahren Tausendjähriges Reich sind die ehemaligen Nazi-Kader, die auch in Gelsenkirchen-Rotthausen gewütet hatten, wieder verschwunden. Während manch einer von denen jetzt unter neuer Flagge segelt, holt Hoese endlich das Abitur nach, spielt erfolgreich in einer Jazz-Combo. Ein mit leichter Feder geschriebener Roman, basierend auf Tatsachen – ein ebenso wichtiger Beitrag zum Verständnis der fatalen NS-Zeit.
 
Manfred Hoese - Braunes Hemd und leerer Magen
Roman über eine Jugend in der Nazi-Zeit
© 2003 Henselowsky Boschmann, 264 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag  -  ISBN 978-3-922750-50-5
14,90 €
Weitere Informationen:  www.vonneruhr.de