Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt - 100 Seiten kompakt über ein Phänomen

Rainer Moritz – „Schlager“

von Frank Becker

Schlager
 
100 Seiten kompakt über ein Phänomen
 
Vor ein paar Tagen habe ich ihnen an dieser Stelle das Buch „Mein Song“ vorgestellt, in dem bekannte Künstler einen Musik-Titel vorstellen, zu dem sie seit dem ersten Hören eine tiefere Beziehung haben. Es ist auch eine kleine Handvoll Schlager im reinsten Wortsinn dabei. Sicher haben ein paar der bei der Untersuchung Befragten auch ein wenig geschummelt, weil es ihnen vielleicht peinlich war, daß ausgerechnet ein Schlager ihr Markstein geworden ist… Denn wer bekennt sich vor der höhnischen Meute der coolen Rock-Enthusiasten schon freiwillig dazu?
Einer, der das aber unumwunden tut, ist Rainer Moritz, dem der Bibliographie zufolge schon ein paar Bücher zum Thema aus der Feder geflossen sind – und den wir als Autor seiner wunderbaren Erinnerungen „Ich Wirtschaftswunderkind“ kennen und schätzen. Rainer Moritz  hat der Bedeutung und der Geschichte der Schlager, des Schlagers nachgespürt und daraus ein Buch für die junge Reclam-Reihe „100 Seiten“ gemacht.
 
Es war der Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strand-Bikini (der gefiel ganz besonders den Herrn)“, „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“, „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht“ – wer (von uns ein wenig Älteren) erinnert sich nicht? Das waren Ohrwürmer, die bis heute unvergessen sind und an denen Rainer Moritz seine Betrachtungen anknüpft. Schlager eben. 85 Prozent aller Schlager nach 1945 – das ist der Schwerpunkt seiner kurzweiligen Untersuchung – haben natürlich die Liebe zum Thema. Er erzählt aber auch von der Erfindung des „Schlagers“ im 19 Jahrhundert als Knüller und vom Wandel des Begriffs zur Genrebeschreibung, beschreibt, welche Themen er jeweils verarbeitete und was die über uns, die Fans und Hörer und unsere Zeit aussagen – und was Soziologen, Philosophen und andere Geistesarbeiter dazu zu sagen haben. Es ist eine amüsante, nichtsdestoweniger kundige und durchaus spannende Abhandlung über ein Phänomen geworden, dem wir alle schon begegnet sind, dessen erfolgreiche Interpreten unserer Generation aber trotz ihres langjährige Ruhmes bei den folgenden Generationen irgendwann nur noch ein fragendes Stirnrunzeln hervorrufen werden.
 
Wir haben unser knapp bemessenes Taschengeld damals sehr sorgsam eingeteilt, um uns davon gelegentlich eine aktuelle Single (Vinyl, 45 RPM, für die Nachgeborenen) zu leisten, die immerhin 4,- DM kostete. Hier bekenne ich mich auch zum Schlager meiner Zeit, denn ich kaufte Peter Kraus, Conny Froboess, Ted Herold, Freddy Quinn, Manuela, Margot Eskens, Rocco Granata, Caterina Valente, Ivo Robic, Fred Bertelmann und Tommy Kent, Delle Haensch, Camillo Felgen, Graham Bonney und Vico Torriani. Paul Anka, Fats Domino, Connie Francis, Elvis Presley, Ricky Nelson, Freddy Cannon u.a. folgten auf dem Fuß. Kein Platz war für solche Schrecklichkeiten wie Peter Alexander (dessen Bedeutung für den deutschen Schlager nach 1945 unbestreitbar ist), Ronny mit seiner klebrigen Cowboy-Romantik oder der Schmalzfett-triefende Howard Carpendale.
Ab und zu wurden auch 50 Pfennige für ein Heft aus den Reihen „dein schönstes Lied“ (Arcadia Schlagertextheft, Tempoton Verlag) oder „film +
funk Schlagertextheft“ (Gemeinschaftsausgabe diverser Musikverlage) angelegt. Das brachte uns die oft doch recht sparsamen Texte näher – geschadet hat es uns nicht. Als die Reihe „top Schlagertextheft“ aus dem Musikverlag Hans Sikorski erschien, war meine Leidenschaft für deutsche Schlager schon etwas abgeklungen.
 
Rainer Moritz schreibt in seinem Bändchen, dem auch eine etwas größere Präsentation, mehr Bilder und ein Namens-Index gut gestanden hätte, die Schlager-Geschichte bis heute weiter, denn auch jetzt gibt es angeschwärmte Stars wie die unglaublich talentierte (und geschäftstüchtige) Helene Fischer, für Andrea Berg (sie wissen schon, die mit den endlosen Beinen), Vanessa Mai, Roland Kaiser (schon mindestens zweimal auferstanden wie auch Howard Carpendale), Vanessa Neigert oder Michael Wendler. Das ist vergnügliche Lektüre, die ich meinen Lesern gerne ans Herz lege.
 
Rainer Moritz – „Schlager“
Originalausgabe
© 2017 Reclam Verlag, 100 Seiten 12 Abb., Broschur, Format 11,4 x 17 cm
ISBN: 978-3-15-020440-5
10,- €
Kapitel:
Laugenbrezel, Bill Ramsey und Der kleine Prinz - Eine kurze Geschichte des Schlagers - Atemlos: die Phänomene Andrea Berg und Helene Fischer - Dieser Sänger braucht nur ein Chanson – die Macht der Interpreten - Was der Schlager uns gibt – eine Leistungsbilanz - Wovon der Schlager handelt, wenn er nicht von der Liebe handelt - Abseitiger Exkurs: seltene Schlagervokabeln - Wenn nicht mehr gesungen wird – Desiderata und andere Sprechgesänge
 
Weitere Informationen: www.reclam.de
 

Den Lektüre-Tips am Schluß (auf Seite 101!) möchte ich noch ein paar hinzufügen:
- André Port le roi: „Schlager lügen nicht“, 1998 Klartext Verlag
- Elmar Kraushaar: Rote Lippen“, 1983 Rowohlt Verlag
- Lutz W. Wolff (Hrsg.): „Puppchen, du bist mein Augenstern“, 1981 dtv
- Bodo Brodt: „Parlez-moi d´amour!“, 1956 Liselotte Kumm Verlag
- Walter Föhringer (Hrsg.): „Nur nicht aus Liebe weinen“, 1989 Bastei Lübbe
- Max & Moritz (Hrsg.): Schlager, die wir nie vergessen“, 1997 Reclam Leipzig
- Thommi Herrwerth: „Katzeklo & Caprifischer“, 1998 Ruetten & Loehning
- Manfred Hobsch: „Liebe, Tanz und 1000 Schlagerfilme“, 1998 Schwarzkopf & Schwarzkopf
- Bernd Matheja: „1000 Nadelstiche“, 2000 Bear Family
- Manfred Günther & Günter Lotz: „Ein Name wie Miusik“, 2001 Bear Family
- Bettina Greve: „Sternenhimmel“, 2001 Verlagsgruppe Koch/Hannibal
- Günther Fischer/Manfred Prescher: „Alles klar auf der Andrea Doria“, 2013 Primus Verlag
- Günther Fischer/Manfred Prescher: „Nur noch kurz die Welt retten“, 2015 WBG / Theiss Verlag
- Günther Fischer/Manfred Prescher: „An Tagen wie diesen“, 2016 WBG / Theiss Verlag
- Monika Sperr (Hrsg.): „Schlager“  Das große Schlagerbuch, 1978 Rogner & Bernhard