Ein musikalischer Spuk (1)

von Christopher Pearse Cranch

Ein musikalischer Spuk (1)
 
Von Christopher Pearse Cranch
 
An einem frostig kalten, windigen Abend im Dezember des Jahres 1831 saßen drei junge Männer um den großen Ofen in Mr. Simon Shrowdwells Geschäft herum, Nummer 307 Dyer Street in Boggsville.
Mr. Simon Shrowdwell war ein Beerdigungsunternehmer, ungefähr fünfzig Jahre alt, der vorbildlichste und höflichste Totengräber dieses alten Kirchspiels. Er war auch ein sehr musikalischer Mann, leitete den Chor und sang oft in den Oratorien, die bisweilen im Rathaus aufgeführt wurden. Er war ein glattrasierter, geschmeidiger Mann, der sich vornehmlich in dekoratives Schwarz kleidete, eine weiße Krawatte trug und der Kopie eines Geistlichen aus zweiter Hand nicht ganz unähnlich sah. Er trug stets jenen freundlichen Gesichtsausdruck zur Schau, der einem Beruf wohl ansteht, dessen Aufgabe vor allem darin besteht, inmitten von Kummer und Trauer teilnahmsvoll aufzutreten, besonders in den Häusern der Reichen. In der Tat hielt er sich auf seinen trostreichen Gesichtsausdruck viel zugute; seine restlichen Züge ließen erkennen, daß er in Notfällen nicht der Standfestigkeit ermangele. Während der Cholera-Epidemie besagten Jahres florierte sein Geschäft, und er hatte sein Unternehmen beträchtlich erweitern müssen. Sein Lager war weiträumig und sauber. Reihen von stattlichen Särgen der verschiedensten Größen standen rundherum an den Wänden in vorbildlicher Ordnung, manche von ihnen mit silbernen Beschlägen. Alles in seinem Etablissement sah so heiter aus, wie es die Natur seines Geschäftes erlaubte.
An diesem Dezemberabend waren Mr. Shrowdwell und seine Frau, die ein Stockwerk darüber wohnten, zufällig außer Haus, um Freunde zu besuchen. Sein junger Gehilfe, William Spindles, und zwei seiner Freunde, die ihm Gesellschaft leisteten, saßen an dem rotglühenden Ofen, rauchten ihre Pfeifen und plauderten so ungezwungen, als wären die Särge um sie herum lediglich ornamentale Versatzstücke. Zu dieser Zeit war das Gas in Boggsville noch nicht eingeführt; aber eine munter brennende Ölfunzel tat ihr Bestes, um den Laden zu erhellen.
Ihr Gespräch, das sich um alles und nichts drehte, war ausgelassen und heiter; Leute, die draußen auf der Straße vorbeigingen und zufällig einen Blick durch die Fenster hereinwarfen, lächelten ob des Kontrastes zwischen den gemütlich rauchenden und plauschenden jungen Herren und der finsteren, aber wohlgeordneten Schicklichkeit ihrer Umgebung.
Einer der jungen Männer hatte seine Pfeife ausgeraucht und klopfte mit ihr dreimal an den Ofen, um die Asche zu entfernen. Da hörten sie ein antwortendes Klopfen - irgendwo ganz in der Nähe; aber es schien nicht vom Eingang zu kommen. Sie waren ein wenig verwirrt, und Spindles rief aus: „Herein!“
Wieder vernahmen sie das Klopfen, diesmal aus einem anderen Teil des Raumes. „Herein!“ brüllte Spindels, stand auf und legte seine Pfeife beiseite.
Die Eingangstür öffnete sich langsam. Ein großer, dünner Mann trat ein, ein Fremder, der einen hohen, breitkrempigen Hut und einen langen, dunklen, altmodischen Mantel trug. Seine Augen waren tief eingesunken, sein Gesicht leichenhaft starr, seine Hände lang und knochig. Er trat auf sie zu. „Ich möchte gern Mr. Shrowdwell sprechen.“
„Er ist ausgegangen“, sagte Spindles. „Kann ich etwas für Sie tun?“
„Ich würde lieber mit Mr. Shrowdwell selber sprechen“, sagte der Fremde.
„Er wird erst spät abends wieder zurück sein. Wenn Sie eine Botschaft für ihn haben, kann ich sie ihm ausrichten; oder Sie bemühen sich morgen noch einmal her.“
Der Fremde zögerte. „Vielleicht können Sie mir genauso zu Diensten sein wie Mr. Shrowdwell…Ich brauche einen Sarg.“ „Gewiß doch“, sagte Spindles, „kommen Sie hier entlang, bitte. Ist es für einen Erwachsenen oder für ein Kind? Vielleicht finden Sie hier etwas Passendes. Für einen Verwandten, nehme ich an?“ „Nein! Nein! Nein! Ich habe keine Verwandten“, sagte der Fremde. Dann fuhr er mit einem rauhen Wispern fort: „Er ist für mich selbst bestimmt!“
Spindles trat heftig zurück und sah nach seinen Freunden. Er war daran gewöhnt, Kunden zu bedienen, die bei ihm Särge bestellten - aber dies war etwas gänzlich Neues. Er betrachtete angestrengt den Fremden. Ein seltsamer, fröstelnder Schauer kroch über seinen Rücken. Als er sich umblickte, war es ihm, als sähe er die Lampe nur noch sehr trübe brennen.
„Sie haben das nicht etwa im Ernst gesagt?“ stotterte er. Und doch, dachte er bei sich, handelt es sich hier nicht um ein Geschäft, das sich zu Scherzen eignet. Wieder blickte er auf den geheimnisvollen Fremden und sagte zu sich selbst: „Vielleicht ist er verrückt - der arme Mann.“
Mittlerweile hatte sich der Fremde die Reihen der Särge angesehen, die in dem trüben Lampenlicht düster schimmerten. Aber er drehte sich sogleich wieder um und sagte: „Diese hier entsprechen nicht meinen Vorstellungen. Sie haben weder die richtige Größe noch die passende Form… Sie müssen mir einen anpassen!“
„Sie meinen doch nicht -“ schnappte Spindles. „Kommen Sie, jetzt treiben Sie Ihren Scherz aber zu weit.“
„Ich scherze nicht“, sagte der Fremde. „Ich scherze niemals. Ich bitte Sie, meine Maße zu nehmen. Und darüber hinaus wünsche ich, daß der Sarg in einer ganz besonderen Form angefertigt wird.“
Spindles blickte zum Ofen hinüber. Seine Gefährten, die Teile der Unterhaltung mit angehört hatten und sich einander nervös musterten, nahmen ihre Hüte und Mäntel, packten ihre Pfeifen ein und verabschiedeten sich unauffällig.
 

Begleiten Sie morgen und an den folgenden vier Tagen bis Samstag
das unheimliche Abenteuer unserer Freunde...