Ein musikalischer Spuk (3)

von Christopher Pearse Cranch

Ein musikalischer Spuk (3)
 
Von Christopher Pearse Cranch
 
Am Freitagmittag war der Sarg in der gewünschten Form fertig. Alle Arbeiter zeigten sich seinetwegen aufs höchste irritiert, und fast alle rissen Witze über die seltsame Form. Nur Spindles gab sich sehr ernst. Als sich die Stunde näherte, zu der sich der Fremde angekündigt hatte, wurde er immer aufgeregter. Er wäre am liebsten weit fort gewesen, aber seine Neugierde behielt die Oberhand. Er bat seine beiden Freunde, doch auch zu kommen, und dieselben stimmten zu, allerdings erst, nachdem Spindles ihnen versprochen hatte, zuerst ein Austernlokal aufzusuchen und für sie etwas Warmes zu bestellen, um ihren Mut zu stärken. Shrowdwell erfuhr davon natürlich nichts, denn er war ein sehr mäßiger, enthaltsamer Mann. Sie saßen um den rauchenden Ofen herum und warteten zu viert auf den Auftritt des Wahnsinnigen. Es war kurz vor acht Uhr.
„Was ist denn mit der Lampe los?“ fragte Shrowdwell. „Wie düster sie brennt! Sie braucht Öl.“
„Aber ich habe heute erst Öl nachgefüllt“, sagte Spindles. „Alle meine Nackenhaare sträuben sich“, flüsterte Barker. „Und da ist auch wieder dieses Klopfen“, sagte O'Brien. In der Tat, das Klopfen war nicht zu überhören. Erst schien es aus der Diele zu kommen, dann von den Särgen auf der anderen Seite des Raumes; ein wenig später ließ es sich von den Fensterscheiben und schließlich beim Türstock vernehmen. Es war sonderbar und über die Maßen verwirrend.
Langsam öffnete sich jetzt die Eingangstür. Sie sahen niemanden, hörten aber einen tiefen Seufzer. „Es ist nur der Wind“, versuchte Shrowdwell zu beschwichtigen und erhob sich, um die Tür wieder zu schließen: da stand rechts vor ihnen der leichenhafte Fremde. Sie waren so perplex, daß niemand ein Wort zu sagen vermochte.
„Ich bin gekommen, um den Sarg abzuholen“, sagte der Fremde in einem Ton, der aus der Gruft zu kommen schien. „Ist er fertig?“
„Ja, Sir“, sagte Shrowdwell. „Er ist fertig. Wo sollen wir ihn hinliefern?“
„Ich werde ihn selbst mitnehmen“, sagte der Fremde mit flüsternder Grabesstimme. „Wo ist er?“
„Aber er ist zu schwer für Sie“, sagte der Leichenbestatter. „Das ist mein Problem“, antwortete der Fremde.
„Bitte sehr, selbstverständlich wissen Sie selbst am besten, ob sie ihn tragen können oder nicht. Aber vielleicht haben Sie einen Wagen draußen oder einen Träger?“
Währenddessen brannte die Lampe so schwach, daß sie die Gesichtszüge des Unbekannten kaum noch erkennen konnten. Aber plötzlich, als er näher an die Lampe traf, flammte der Docht helleuchtend empor und sie sahen, daß sein Gesicht die wächsernen Züge einer Leiche hatte. Im selben Augenblick sprang eine alte, gewöhnlich sehr träge Tigerkatze, die sich schnurrend am Ofen geräkelt hatte, wild fauchend auf, starrte geblendet um sich und hechtete dann in den entferntesten Winkel des Raumes. Sie sagten nichts, traten aber eilig zurück und ließen ihn zu dem merkwürdig aussehenden Sarg gehen. Er trat darauf zu, nahm ihn unter seinen Arm, als wäre er nicht schwerer als ein kleiner Korb, schritt mit dem Sarg auf die Tür zu, die sich wie von selbst zu öffnen schien, und verschwand in der dunklen Straße.
„Wir folgen ihm“, sagte der Leichenbestatter. „Ich bin gespannt, wohin er geht. Wie Sie wissen, glaube ich nicht an Gespenster. Ich habe schon zuviele Leichen gesehen. Verlassen Sie sich darauf das ist nur ein verdrehter Gentleman, und wir sollten zusehen, daß er sich nichts antut. Kommen Sie!“
Die drei jungen Männer schauderten bei dem Gedanken, dem Fremden in der Dunkelheit zu folgen, ob er nun lebte oder tot war. Andererseits gefiel es ihnen gar nicht, unter all den Särgen in dem kaum beleuchteten Raum zurückzubleiben. So brachen sie also auf und sahen gerade noch, wie der fremde Besucher um eine Ecke bog. Flugs eilten sie in diese Richtung.
„Er geht zur Kirche“, sagte Spindles. „Nein, er schlägt die Richtung zum Friedhof ein. Seht doch, er ist geradewegs durch das Eisengitter gegangen! Aber das ist doch abgeschlossen! Er ist unter den Bäumen verschwunden!“
„Wir wollen hier in der Ecke warten und unsere Augen offenhalten“, sagte Shrowdwell. Sie warteten fünfzehn oder zwanzig Minuten, sahen aber nichts mehr von ihm. Dann traten sie näher an das Geländer des Friedhofs heran und starrten auf den Gottesacker. Der Mond versteckte sich hinter den Wolken, die dicht geballt über den Himmel trieben, vor dem sich der hohe, düstere Kirchturm abzeichnete. Der Wind blies traurig in den nackten Bäumen. Plötzlich war es ihnen, als hätten sie eine dunkle Gestalt gesehen, die sich zu der nordwestlichen Ecke hin bewegte. Dann hörten sie, wie sich eine der Türen zur Gruft krachend öffnete und mit einem dumpfen, schweren Schlag wieder zufiel.
 
 
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