Gruselig ist es. Reicht das?

„The Killing Of A Sacred Deer“ von Yorgos Lanthimos

von Renate Wagner

The Killing Of A Sacred Deer
(GB, Irland, USA 2017)

Regie: Yorgos Lanthimos
Mit: Colin Farrell, Nicole Kidman, Barry Keoghan,
Sunny Suljic, Raffey Cassidy, Barry Keoghan u.a.
 
Das Phänomen ist nicht neu, es gibt es auch im Kino, wenn auch weit seltener als im Theater: Daß man sich mit Kopfgeburten von Regisseuren herumquält, auch wenn man gar nichts damit anfangen kann. Wie hat man sich – vor ein paar Menschenleben – an Alain Resnais’ „Letztes Jahr in Marienbad“ festgebissen, ist an jeder Interpretation gescheitert und hatte doch das Gefühl, es vielleicht mit einem Kunstwerk zu tun zu haben? Ähnlich geht es uns immer wieder mit den Filmen von Terrence Malick… Die Quälerei, die Regisseur Yorgos Lanthimos bereitet, ist ähnlich – nur daß man nicht den Verdacht schöpfen wird, es mit einem wirklichen Kunstwerk zu tun zu haben, wenn man sich „The Killing of a Sacred Deer“ antut… Mit einem affektierten Kunststück schon eher.
 
Der 45jährige Grieche hat uns schon mit seinem Film „The Lobster“ völlig ratlos hinterlassen. „The Killing of a Sacred Deer“ (das Töten eines heiligen Hirsches) hat zumindest eine glaubhafte Ausgangsposition, wenngleich die amerikanische Ärztefamilie von Steven und Anna Murphy mit den jugendlichen Kindern Bob und Kim ein bißchen künstlich anmutet. Künstlich perfekt. Und seltsam, wenn etwa die Sex-Rituale des Paares angedeutet werden, wo Steven die Gattin offenbar am liebsten völlig unbeweglich am Bett vorfinden möchte und sie, nach nüchterner Nachfrage, cool diese Stellung einnimmt …
Schon die Familie ist gruselig, gerade weil Colin Farrell als der berühmte Chirurg ebenso perfekt aussieht wie Nicole Kidman als die schöne Gattin, und der kleine Sohn (Sunny Suljic) entzückend ist, nur die Tochter (Raffey Cassidy) wirkt ein bißchen wie ein übler Teenager von heute. Immerhin, es ist eine Ausgangsposition.
Wenn man dann sieht, daß sich Steven um einen Teenager namens Martin kümmert (der erschreckend großartige Barry Keoghan, von Geheimnis und düsterem Karma umwittert), ihm Dinge schenkt, dann kann man natürlich die üblen Gedanken von Pädophilie nicht von sich weisen. Aber bald stellt sich heraus, daß nicht Steven der „Böse“ ist, sondern der Junge… und daß er sich auf einem Psycho-Terror-Rachefeldzug befindet, weil sein Vater einst auf Stevens Operationstisch gestorben ist.
Dieser fühlt sich so schuldig, daß er erst spät dem immer unverschämteren Druck des jungen Mannes (der ihn u.a. zu seiner Mutter schleppt und versucht, in Szenen grenzenloser Peinlichkeit, die beiden zu verkuppeln!) den nötigen Widerstand entgegensetzt, aber dann ist es zu spät.
 
Und dann erlaubt sich der Regisseur die Kapriolen, die ihm frei stehen, setzt zur zerebralen Akrobatik an (damit die intellektuellen Kritiker was zu schreiben haben) und schlägt mit dem Drehbuch alle möglichen kunstvollen, überdrehten Purzelbäume, um Zusammenhänge mit der griechischen Antike herzustellen – Steven muß, so verlangt Martin, der sich in die Familie eingeschlichen und die Tochter zu seiner Komplizin gemacht hat, zur Sühne eines seiner Familienmitglieder opfern!!! (Was dann den Bezug zu Agamemnon und Iphigenie, großartig hier als Referenz zitiert, herstellt, weil dieser die Tochter opfern muß, weil er einen heilige Hirschkuh getötet hat. Diese Leichtfertigkeit stand beim Tod von Martins Vater nicht im Hintergrund, wenngleich man beweisen will, daß er bei dieser Operation betrunken war…).
Die Geschichte läuft mehr und mehr völlig jenseits jeder Vernunft, kann aber auch – teilweise nun mit „Magie“ und tödlichem Zauber angereichert – ihren eigenen Verlauf nicht eine Sekunde glaubhaft machen. Am Ende ist man nur verärgert über so viel Dummheit, die der Regisseur hier unter dem im Kino immer wohlfeilen Vorwand der Surrealität sowie unter dem Vorwand der ewigen, großen Themen auf einander häuft. Widerwillig wird man in den gar nicht überzeugenden Horror-Wirbel hineingezogen, in den er sich hineinredet. Antikes Schicksalsdrama – heute? Nun, wenn man ein Grieche ist… Immerhin – gruselig ist es. Reicht das?
 
Trailer    
 
Renate Wagner