Erotikthriller

„Der andere Liebhaber“ von François Ozon

von Renate Wagner

Der andere Liebhaber
(L’amant double - Frankreich 2017)

Drehbuch und Regie: François Ozon
Mit: Marine Vacth, Jérémie Renier, Jacqueline Bisset u.a.
 
Zwillinge sind immer gut, für die Wissenschaft sowieso. Aber auch für die Literatur – Shakespeare hat ein ganzes Stück über zwei Zwillingspaare geschrieben und gezeigt, worum es geht: um die Fragwürdigkeit der Identität. Wo sitzt der Menschen, außen – wo er einem anderen gänzlich gleichen kann – oder innen? Natürlich gibt es Zwillinge auch immer wieder im Kino, geliebt von guten Schauspielern, die sich auf die Möglichkeit der Verwandlung stürzen. (Aber selbst Marika Rökk, die niemand je für eine gute Schauspielerin gehalten hat, leistete in „Kora Terry“, wo sie die Geschwister Kora und Mara spielte, darstellerisch mehr als sonst in ihrem Leben.) Und Jeremy Irons war in Cronenbergs Zwillings-Klassiker „Die Unzertrennlichen“ unvergeßlich Gänsehaut erzeugend.
 
Zwillinge auch hier, wenn François Ozon den Roman von „Der Andere“ von Joyce Carol Oates verfilmt. Da steckt nun mal vieles drin, aber mehr als ein Erotik-Thriller ist allemale gemeint, wenn der Film auch die längste Zeit so aussieht und scheinbar nur erzählen will – Gott o Gott, wie verschieden können (Zwillings-)Brüder doch sein! Tatsächlich aber legt schon der Grund dafür, warum die Chloé (schön und absichtsvoll im Grunde leer: Marine Vacth) zum Psychiater kommt, eine Spur für später: Sie hat entsetzliche Bauchschmerzen, für die es offenbar keine reale medizinische Ursache gibt. Also – psychosomatisch? Also: Psychiater.
Und dieser Paul ist liebenswürdig, verständnisvoll, sanft – die Liebesgeschichte entwickelt sich, er gibt sie korrekterweise als Patientin ab, zieht als Liebhaber bei ihr ein. Kuschelig, aber keine Lösung des Problems. Und Nr. 1 Porträt für Darsteller Jérémie Renier.
Und dann sieht sie den Geliebten eines Tages auf der Straße, wo er keinesfalls sein kann und auch leugnet, gewesen zu sein. Kurz, der andere ist Louis, der entfremdete Zwillingsbruder, auch Psychiater, aber aus ganz anderem Holz, als sie ihn aufsucht. Cool, zynisch, niederträchtig: Da kann Jérémie Renier nun sprühen, einen ganz anderen, über weite Strecken geradezu furchterregenden Menschen spielen. Der geht – auch sexuell – brutal aufs Ganze, und die Frage ist, ob Chloé sich das nicht eigentlich gewünscht hat? 50 Shades of Grey werden in Variationen durchgespielt, aber so kann es nicht bleiben – und das ist auf die Dauer nicht wirklich interessant.
 
So, wie Chloé längst den Boden unter den Füßen verloren hat, passiert es schließlich auch dem Film. Auf der Suche nach der Vergangenheit von Paul landet sie bei Mme. Schenker (die reif gewordene, noch immer reizvolle Jacqueline Bisset), und nun stellt sich angesichts der Ereignisse langsam auch für den Kinobesucher die Frage, was hier eigentlich real ist oder was sich als Alptraum-Phantasie in Chloés Kopf abspielt… Und welche Paranoia hinter dem Zwillings-Problem steckt.
Am Ende gibt es sogar eine „Lösung“ des Ganzen, die gewissermaßen literarisch sauber ist – und dennoch hat François Ozon sein Zwillingsthema nicht wirklich atemberaubend verdichtet. Immerhin, als Erotikthriller wird der Film, der eigentlich noch viele Schichten mehr hat (und zeigt, worin Menschen sich verrennen können), schon sein Publikum finden.
 
Trailer   
 
Renate Wagner