Eine brillante Charakterzeichnung: Winston Churchill

„Die dunkelste Stunde“ von Joe Wright

von Renate Wagner

Die dunkelste Stunde
(Darkest Hour - GB 2017)

Regie: Joe Wright
Mit: Gary Oldman, Kristin Scott Thomas, Lily James, Ben Mendelsohn u.a.
 
Winston Churchill ist jener britische Staatsmann, der während des Zweiten Weltkriegs einige Entscheidungen getroffen hat, die sich im Nachhinein als richtig erwiesen haben (darunter jene, mit Adolf Hitler um keinen Preis zu verhandeln). Schon das macht ihn zu einem nationalen Helden und zu einer großen Figur der Weltgeschichte. Aber wie sah die Realität hinter den Geschichtsbüchern aus? Das fragt dieser Film von Regisseur Joe Wright, und obwohl man ganz schön „Nachhilfeunterricht“ erhält (wogegen ja nichts zu sagen ist!), sind es letztendlich zwei geradezu unterhaltende Stunden Weltgeschichte geworden… gebrochen durch die Persönlichkeit eines großen Mannes.
 
Denn Churchill, der ewig Zigarren paffende Alkoholiker, der den Tag mit einem Glas Whisky begann, ist natürlich auch eine köstliche, gewissermaßen leinwandgerechte Figur, in seiner eher unappetitlichen Rundlichkeit und schnaubenden Schwerfälligkeit, vor allem in seiner Direktheit, ja Rücksichtslosigkeit im täglichen Umgang mit der Mitwelt. Er hatte zu Kriegsbeginn nichts zu verlieren, er war über 60 und einer der bestgehaßten Männer seiner Zeit. Aus der englische Hocharistokratie stammend, dekorierter Militär, Journalist und Schriftsteller, hatte er es nie darauf angelegt, sich Freunde zu machen. Das Amt des Premierministers schob man ihm 1940 zu, weil der Vorgänger es vergeigt hatte und sich niemand um die Verantwortung riß, England gegen ein über die Maßen gerüstetes Drittes Reich durch den Krieg zu führen.
So politisch dieser Film in den gezeigten Abläufen auch ist, so erlebt man doch „Churchill privat“ – zuhause mit der liebenden, klugen Gattin (Kristin Scott Thomas ist ein intelligenter Goldschatz als jene legendäre „Clemmy“, mit der Churchill eine ebenso legendär gute Ehe führte), im Kriegsquartier mit jener Sekretärin an seiner Seite, die es als Einzige mit ihm aushielt und ihm in unerschütterlicher Treue diente (die bezaubernde Lily James, die sich durchaus am Puls der Weltgeschichte fühlt), schließlich in Auseinadersetzung mit seinen Politiker-Kollegen, die alle (mit Ausnahme von König George VI. – Queen Elizabeths stotternder Vater, nobel interpretiert von Ben Mendelsohn) dafür plädierten, mit Hitler zu verhandeln.
Churchill führte das Land durch die Katastrophe von Dünkirchen, wo es seine Idee war, alle verfügbaren privaten Boote Englands über den Kanal zu schicken, um die dort an der Küste zwischen Meer und deutschen Panzern eingekesselten alliierten Soldaten heimzuholen, und der Film endet mit einer seiner legendären Reden, die von seinem Hauptfeind achtungsvoll so charakterisiert wird: „He armed the English language and sent it into battle“ (Er bewaffnete die englische Sprache und sandte sie in die Schlacht).
 
Natürlich kann Geschichte nur so spannend sein, wenn man den Menschen auf der Leinwand glaubt. Gary Oldman hat sich dermaßen in Winston Churchill verwandelt, daß man ihn selbst (den Gary Oldman dahinter) so gut wie nicht erkennt – und ihm so amüsiert wie vergnügt zusieht, des tragischen Themas ungeachtet. Der „Golden Globe“ als bester Hauptdarsteller ist es geworden, der „Oscar“ in derselben Kategorie winkt, er wäre mehr als verdient, hat er doch nicht das Klischee eines Mannes hingeklackst, sondern sorglich einen Charakter gezeichnet.
 
Trailer   
 
Renate Wagner