Hommage an Friedrich Wolf – „Ein großer Dichter – neu gelesen“
Herzensverstand
Remscheid. 71 Jahre nach der Bücherverbrennung und exakt am 59. Jahrestag der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht erinnerte die Friedrich Wolf Gesellschaft gemeinsam mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in einer Hommage an den Arzt, Dramatiker und Dichter Friedrich Wolf. Werner Faeskorn konnte im WTT drei Künstler begrüßen, die in Remscheid bereits so etwas wie eine zweite künstlerische Heimat gefunden haben: die Schauspielerin und namhafte Brecht-Interpretin Renate Richter, den Regisseur Prof. Manfred Wekwerth, früher Intendant des Berliner Ensembles und den Komponisten Syman, der mit seinen Vertonungen der Gedichte Wolfs Verdienste erworben hat.
Nur wenige Zeitzeugen dieser barbarischen Periode deutscher Geschichte sind noch am Leben. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung an das düstere Kapitel zu bewahren und die ins Licht zu rücken, die damals zu den Verfolgten gehörten. Friedrich Wolf, 1920/21 als Stadtarzt in Remscheid Vorreiter menschenfreundlicher Sozialhygiene, gehörte als Jude und Freigeist zu diesen Verfolgten. Nur durch Flucht ins Ausland und die Annahme der sowjetischen Staatsbürgerschaft hatte er sich dem tödlichen Zugriff des 3. Reiches entziehen können. Sein Werk hat die Zeit überdauert.
In ihrem zweistündigen Programm stellten Renate Richter, Manfred Wekwerth und Syman den Menschen Friedrich Wolf anhand von Texten, Briefen und Gesprächsniederschriften vor. Renate Richter glänzte mit ausdrucksvollem Vortrag der von Syman vertonten und am Klavier begleiteten Lieder zu Gedichten Wolfs. „Die Hexe“, „Du, bleibe“ und besonders das aufrüttelnde „Der § 218“ zur Abtreibungsproblematik und Brecht/Eislers „Das Lied von der Ware“ aus dem Stück „Die Maßnahme“ wurden zu Höhepunkten des Abends. Hier zeigte sich die brillante Vortragskünstlerin, die Wolf ebenso gerecht wird wie Brecht.
Friedrich Wolf als Kenner und Interpret der Bibel wird nicht jedem bekannt sein. Seine alttestamentarischen Auslegungen der Bücher Samuel und Richter öffneten ein interessantes Fenster zu seinem Denken. Essays und Anekdoten zur Medizin spielen natürlich im Leben des Arztes eine wichtige Rolle. Die historische Tatsache, daß Ärzte im alten China nur für die gesunden Tage ihrer Patienten bezahlt wurden, münzte Wolf in die Empfehlung an den Staat um, seine Politiker nur für die Zeit zu bezahlen, in der sie den Frieden bewahren. Ein Weg zur Vermeidung von Kriegen? Zumindest eine sehr bedenkenswerte Überlegung.
Ein beredter und amüsanter Dialog-Exkurs über den Verfall der deutschen Sprache aus dem Jahr 1930 und über die Qualität der Bühnensprache am Beispiel Alexander Moissis (von dem Alfred Kerr gesagt hat „Vorzüglich gab Moissi die Worte – als Rezitator“) zeigte sich selbst als sprachliche Delikatesse. Ein gelungener Abend.
Renate Richter, Manfred Wekwerth und Syman sind heute Abend ab 20 Uhr noch einmal zu erleben: in der „Denkerschmette“ geben sie am Jahrestag der Bücherverbrennung einen „Abend mit Bertold Brecht“ mit Liedern und Texten aus vier Jahrzehnten.
Frank Becker, 9.5.04
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