Von der Regie versemmelt - von den Darstellern gerettet

„Pension Schöller“ in Wuppertal

von Frank Becker

Die Intrige beginnt... - v.l.: Stefan Walz, Julia Reznik, Alexander Peiler - Foto © Uwe Schinkel

Von der Regie versemmelt -
von den Darstellern gerettet
 
Pension Schöller
von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby
Bearbeitung von Jürgen Wölffer
 
Premiere Am 10. Februar 2018 im Wuppertaler Opernhaus
 
Regie: Alexander Marusch - Bühne & Kostüme: Gregor Sturm – Musik: Christian Kuzio – Dramaturgie: Barbara Noth – Regieassistenz: Barbara Büchmann – Dramaturgieassistenz: Elisabeth Wahle – Inspizienz: Charlotte Bischoff - Fotos: Uwe Schinkel
Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden, eine Pause
 
Besetzung: Schöller, Inhaber der Pension Schöller (Thomas Braus) - Franziska Schöller, Tochter von Schöller, Kellnerin (Julia Reznik) - Eugen, angehender Schauspieler und Mündel von Schöller (Martin Petschan) - Von Mühlen, General a.D. (Miko Greza) - Josephine Zillertal, Schriftstellerin (Philippine Pachl) - Professor Bernhardy, weltreisender Wissenschaftler (Konstantin Rickert) - Philipp Klapproth, Gutshofbesitzer aus Kyritz (Stefan Walz) - Alfred Klapproth, Neffe von Philipp Klapproth (Alexander Peiler) - Ida Klapproth, Schwester von Philipp Klapproth (Lena Vogt)
 
„Ich hab doch da auf meinem Grund das leerstehende alte Herrenhaus.
Ich möchte daraus ein Nervensanatorium machen. Das ist eine Sache mit Zukunft.
Da steckt Gewinn drin. Bald wird es nur noch Verrückte und Alte geben.“
Philipp Klapproth
 
Mal ehrlich: Das haben Wilhelm Jacoby und Carl Laufs nicht verdient – und auch Jürgen Wölffer nicht, dessen Name ja im Grunde ein Garant für gute Komödie ist. Die „Pension Schöller“ ist ein urkomisches Stück voller Sprachartistik, das mit Sicherheit nicht braucht, was Alexander Marusch ihm aufgezwungen hat: Schrille, bis zum Exzess überzogene Verfremdung in Sprache und Bewegung, unangenehm groteske Überzeichnung der Charaktere, fade, billige Griffe unter die Gürtellinie, geschmacklose Obszönitäten, die ein wenig auf eine gewisse Fixiertheit des Regisseurs schließen lassen. Gregor Sturm hat den fatalen Faden folgerichtig aufgenommen, indem er eine Gummizellen-Bühne gebaut hat, welche keinerlei Zweifel aufkommen läßt: alle hier sind verrückt. Seine Ausstattung, also Maske und Kostüme dazu setzen die groteske Überzeichnung stringent fort. Bis auf die von Vogt, Walz und Petschan keine Augenweide. Hier haben sich zwei Herren im Bestreben schrecklich originell zu sein mächtig übernommen. Vielleicht haben sie ja nicht verstanden, was Jacoby und Laufs mit ihrem Erfolgsstück erzählen – oder, die noch schlechtere Variante, sie hauen dermaßen auf die Pauke, weil sie dem Publikum das Verständnis nicht zutrauen.
Weigelsche Augenbrauen, gezwirbelte Bärte, schreckliche Akzente, Bazookas und fallende Gläserstapel, wogendes Bindegewebe und eine scheinlustige Choreographie nebst schlimmen Musik-Einspielungen (Christian Kuzio) machen einfach keine Komödie. Ein bißchen Goldoni hier, ein wenig Feydeau dort und einen Hauch Murnau zu mopsen genügt nicht. Denn Komödie ist schwer. Vielleicht zu schwer für Alexander Marusch, der Klamotte sicher kann.


Josephine Zillertal setzt Eugen zu - Philppine Pachl, Martin Petschan - Foto © Uwe Schinkel

Aber zum Glück verfügt das Wuppertaler Schauspiel über ein glänzendes Ensemble voller Spielfreude, dem einzig zu verdanken ist, daß dieser Abend nicht nur keine Katastrophe, sondern ein Erfolg geworden ist. Sie geben mit ihren solistischen Qualitäten dem Publikum vieles zurück, was die mißlungene Inszenierung zuvor versemmelt. So gibt Stefan Walz den lebens- und vergnügungshungrigen Gutsbesitzer Klapproth, der in Berlin das Treiben in einem Irrenhaus kennenlernen möchte und von seinem klammen Neffen Alfred (Alexander Peiler) in die Pension Schöller mit ihren skurrilen Gästen gebracht wird, mit Saft und Charakter.
Philippine Pachl überzeugt als leicht überkandidelte, liebeshungrige Schriftstellerin Josefine Zillertal, die jeden haben will, als Mann wie als Romanfigur, durchaus auch erotisch, wobei weniger mehr gewesen wäre (s.o.). Lena Vogt zeigt als Klapproths Schwester Ida ein hinreißend dröges spätes Mädchen, das durch die plötzliche Zufuhr von Männern (wobei sie aus vorherigem Mangel eine gewisse Kritiklosigkeit an den Tag legt) ganz zauberhaft zur schillernden Blüte erwacht. Und dann das Vater-Tochter-Paar Schöller: Julia Reznik als Page im Männerkostüm, doch voll unterdrückter zärtlicher Sehnsucht, dazu Thomas Braus als ihr Vater, der Pensionswirt, der trotz der regiegewollten schreienden Überzeichnung in Schauspiel und Sprechkunst zeigt (was bitte, soll der persiflierte, teils unverständliche italienische Akzent), was möglich ist. Chapeau! Vor diesen Figuren kommen Miko Greza als polternder General a.D., Konstantin Rickert als weltreisender Prof. Bernhardy und der gehemmt-gewitzte Neffe Alfred (Alexander Peiler) fast ein wenig zu kurz.


v.l.: Thomas Braus, Stefan Walz - Foto © Uwe Schinkel

Den Vogel schießt jedoch Martin Petschan als sprachgehemmter Möchtegern-Schauspieler Eugen ab – die Paraderolle des Stücks, für die allein es lohnt sich eine „Pension Schöller“-Inszenierung anzusehen. Nicht den Buchstaben „l“ artikulieren zu können, ihn deshalb durch das „n“ zu ersetzen, verlangt höchste Konzentration, ist komisch und wird bei Gelingen – wie hier – gefeiert und mit Szenenapplaus belohnt. Petschans Kletterpartien im gepolsterten Bühnenbild rückten ihn ein weiteres Mal ins Zentrum des Vergnügens. Gekonnt ist gekonnt!
Also: Dank dem Ensemble, das diesen Abend rettet.
 
Weitere Informationen:  www.wuppertaler-buehnen.de