In der glühenden Hitze Sevillas…

„Carmen à trois“ mit Sabine Fischmann, Michael Quast und Rhodri Britton

von Frank Becker

Foto © Wolfgang Runkel
Erbarmen mit Carmen!
oder
In der glühenden Hitze Sevillas…
 
Mit: Sabine Fischmann und Michael Quast
Am Klavier: Rhodri Britton
 
Oper ist nicht jedermanns Sache. Schon gar nicht, weil man entweder das Gesungene nicht versteht oder aber weil man sich entsetzlich den Hals verrenkt, die über der Bühne eingeblendeten Texte mitzulesen, dabei dann aber verpaßt, wenn auf der Bühne gelitten und gemeuchelt wird. Sex kommt eigentlich gar nicht vor, weil meist die Sängerinnen zu dick sind (eine berückende Ausnahme bildet die schöne Cordelia Katharina Weil), es sei denn, die Regie läßt, wie jüngst beim Münchner sicher nicht zuletzt deswegen umjubelten „Tannhäuser“, den äußerst wohlgestalteten Chor barbusig seine Pfeile schleudern. Zudem wird auf Opernbühnen sehr gerne recht hölzern agiert, denn Sänger sind nun einmal keine Schauspieler. Von der Melodramatik in Opern wollen wir hier gar nicht groß reden.
 
Wolfgang Körners Kurzfassung des Inhalts in seinem „Einzig wahren Opernführer“: „Sinnliche Zigeunerin verwirrt Zollbeamten des einfachen Dienstes. Tote: 1 Zigeunerin, 1 Mutter, 1 Stier.“ Oder Petra Sprenger in „Oper einfach erklärt: „Carmen, ein ziemlicher Wildfang, liebt das freie Leben. Mit ihrer Schönheit und Leichtigkeit verdreht sie den Männern reihenweise den Kopf. Auch der Sergeant Don José erliegt ihrem Charme. Doch seine Leidenschaft für Carmen wird ihm zum Verhängnis …“. Peter Gammond ergänzt in „Clever bluffen - Oper": „…jedenfalls ist `Carmen´ die einzige Oper, in der der Frauenchor (bekleidet, Anm. d. Red.) in einer Zigarettenfabrik arbeitet.“ Beim Zitieren von Fachleuten wollen wir Konrad Beikircher nicht vergessen, der „Carmen“ nicht nur über den grünen Klee lobt, sondern das in seinem Opernführer „Bohème suprême“ fundiert begründet: „»Carmen« ist eine der drei Opern, die immer bleiben werden. Nicht nur wegen der Musik, sondern weil wir das selber sind, die auf der Bühne aneinander leiden und scheitern. So einfach ist das. Der Rest ist Mozart. Und Verdi. Und dann kommt lange nix.“
 
Nun das hier: „Carmen à trois“ – Georges Bizet samt Prosper Mérimée, Henri Meilhac und Ludovic Halévy allerhöchstwertig durch den Kakao gezogen, jedoch sachlich, informativ und unterhaltsam auf den Punkt gebracht., Michael Quast mit Bühnen-Partnerin Sabine Fischmann und Rhodri Britton am Flügel kamen mit ihrer urkomischen Version des Opern-Klassikers ins Remscheider Teo Otto Theater, wo Quast mit verschiedenen Partnern und Programmen schon seit langem ein geschätzter Gast ist. Sie präsentierten ganz im Geiste Georg Kreislers eine „Carmen“, wie Sie sie bislang gewiß noch nicht gesehen haben.
Eine Inhaltsangabe läßt das Geschehen verstehen, der Tonfall allerdings zeigt die Richtung: Jux mit Carmen. Da dörrt die von Quast beschworene gandenlose Hitze Sevillas die Kehle aus, werden die Ouvertüre und die Habanera fast zum „Einmarsch der Isolatoren“ von Siemens & Halske, tirilieren Fischmann und Quast vor dem seriösen Spiel Brittons mit Kazoo, Melodica und Blockflöten, wuchert die schöne Sängerin mit üppigem Akazienstrauß und quin­qui­lie­rt, daß man der sel. Florence Foster Jenkins mit einer Träne im Auge gedenkt. Derweil setzt Herr Quast dezente Akzente mit den Tschinellen. Castagnetten-begleitete Tanzeinlagen kommen einem fast spanisch vor, Escamillos Auftritt erschüttert zitatenreich das Zwerchfell, das von Quast akustisch illustrierte Landleben macht den 3. Akt beinahe sichtbar.


Foto © Wolfgang Runkel
 
Politisch völlig korrekt (man bedenke: Zigarettenfabrik) wird auf der Bühne nicht geraucht, sogar vor den tödlichen Folgen gewarnt. Irgendwann wird irgendwer bestimmt die „Carmen“ umschreiben wie einst den „Jim Knopf“. Dann gibt es keine Zigeunerin und keine Glimmstengel mehr, wie es auch keine Negerküsse und keine Mohrenköpfe mehr gibt. Aber das ist eine andere Geschichte. Das Trio auf der Carmen-Bühne hat noch mehr zu bieten: natürlich Albernheiten am laufenden Band, Klavier zu 3-4 Händen und verschlungenen Leibern, eine Micaëla, die wie eine Mischung aus Daniela Katzenberger und Alice Hoffmann klingt, und ein Libretto aus spanischer Speisekarte, päpstlichem Segen und Sportberichten der Primera División. Also Ulk in Hülle und Fülle. Und das alles, sämtliche Rollen und Einlagen von diesen beiden Darstellern + Klavier.
 
Sie bleiben damit nur knapp ein halbes Stündchen unter der Opern-Original-Länge. Apropos Länge: Etwas weniger wäre an einigen Stellen weit mehr gewesen, denn in der Kürze liegt gelegentlich tatsächlich die Würze. Aber: Sie haben auch Appetit darauf gemacht, sich mit dem gewonnenen Informationsschatz das Original noch einmal anzusehen. Bravi!
 
Weitere Informationen: www.michaelquast.de/