„Palu ist tot, kein Freispiel drin“

Eine Hommage an Jochen Senf

von Jörg Aufenanger

Jochen Senf - Foto © Saarländischer Rundfunk (SR)
„Palu ist tot, kein Freispiel drin“
 
Eine Hommage an Jochen Senf
(6. Februar 1942 - 18. März 2018)
 
Betrat ich mit ihm das „Gainsbourg“, jene in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts angesagteste Charlottenburger Bar, so flüsterten oder sprachen halblaut nicht wenige anwesende Frauen: „Da, Kuck mal, der Palu“ oder „das ist doch der Palu!“. Die meisten von ihnen wußten sicherlich nicht wie Palu wirklich hieß. Er war bekannt, gar berühmt, war eine Kunstfigur des Fernsehens. Er selbst tat dann so, als ärgerte er sich über das Gerede, „ich bin nicht Palu, diese dummen Kühe“ meinte er dann, war aber sichtlich geschmeichelt
Elf Jahre lang verkörperte Jochen Senf den saarländischen Tatort-Kommissar Max Palu. Die Kunstfigur, die er abgab, war einzigartig in der Tatorthistorie, und sie hatte sehr viel von ihm selbst. Lange hatte er in Saarbrücken gelebt, bevor er nach Berlin zog. Beide, seine Figur und er, fuhren stets Fahrrad, liebten das gute Essen und das Leben, die Frauen natürlich auch. Stets trug Palu ein Baguette in der Hand, im wirklichen Leben eher eine gut gefüllte Plastiktüte mit Lebensmitteln, die er mit dem Fahrrad, einem Rennrad, transportierte. So sah ich ihn durch Berlin-Charlottenburg fahren. Bis vor etwa drei Jahren. Da wollte er an mir vorüberfahren, hielt plötzlich inne, stieg vom Rad und meinte: „Ich verabschiede mich hiermit von Dir.“ Ich bekam einen Schreck, befürchtete, er mache seinem Leben ein Ende. Nein, er müsse in eine Spezialklinik nach Saarbrücken, er habe so furchtbare Panikattacken. Nach einem Jahr etwa kam er nach Berlin zurück, er soll aus der Klinik geflüchtet sein, ging das Gerücht. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Sein Weg soll von Krankenhaus zu Krankenhaus geführt haben, und schließlich in ein Pflegeheim, in dem er am Sonntagmorgen verstorben ist.
 
Jochen Senf war kein Saarländer wie zu vermuten wäre, sondern gebürtiger Frankfurter, am 6. Februar im Kriegsjahr 1942 erblickter er das Licht der Welt, ging dann mit den Eltern nach Saarbrücken. Der Vater Paul Senf war saarländischer Finanzminister, als das Land noch französisch war. Paris war nicht weit, und so zog es den frankophilen Sohn oft dorthin, doch dort passierte auch etwas, das in ihm ein Trauma hinterließ.
Als Heranwachsender war von dem Vater abgeschoben worden, in das Promiinternat von Salem. Danach studierte er Germanistik und Romanistik und absolvierte in Saarbrücken ein Schauspielstudium, arbeitete in der Hörspielabteilung des dortigen Senders SR als Dramaturg.
1987 wurde aus Jochen Senf Max Palu. Der erste Tatort hieß: „Salut Palu“. Siebzehn lange Jahre, bis man ihn abservierte. Seine Berliner Freunde schrieben einen Brief an den Intendanten des SR mit der Bitte, ihn weiter Palu sein zu lassen. Daraufhin wurde ihm noch eine weitere Folge zugestanden, die aber eher zum Desaster wurde, denn Senf bat sich aus, an dem Drehbuch mitzuschreiben, und da er ein schwieriger Fall eines Dickkopfs war, kam es zu vielfachem Streit im TV-Team.
Senf ohne Palu, das ging eigentlich gar nicht, und so geriet er in eine persönliche Krise, die seine Fähigkeit kompatibel zu sein, noch mehr einschränkte. Zwar konnte er auch überaus charmant sein, doch seine ihm eigene Grummeligkeit schlug immer öfter um in Aggression und Rüpelhaftigkeit, sodaß er es sich auch mit vielen Freunden verdarb, schließlich auch mit mir.
 
Wie oft waren wir zuvor nach dem Besuch des „Gainsbourg“ zusammen mit dem Fahrrad nach Haus gefahren, er wohnte zeitweise im selben Haus wie ich. Dabei raste er wie doll über den Bürgersteig, rücksichtslos, bis er plötzlich vor einer Dönerbude stoppte. Er mußte immer essen. Eines Tages aber vereitelte er in der Bude einen Überfall, als er dem Täter heftig ins Bein biß. Häufig aber stritt er sich auch mit dem Betreiber einer Dönerbude oder mit einem Tabakhändler, bekam dafür nicht selten eins auf die Nase. Belehrbar war Jochen Senf aber nicht.
Er liebte das Essen und war ein begnadeter Koch. Die Essen, die er zuhause gab, waren sternenkochwürdige Abende. Zum Ende des Essens suchte er jedoch oft eine Frau aus, die er beleidigen konnte. Und bald folgten nur noch wenige seinen Einladungen. Er sonderte sich ab.


Jochen Senf im Tatort „Rache-Engel“ - Foto © Saarländischer Rundfunk (SR)
 
Jochen Senf und die Frauen. Stark geprägt von der Mutter, hatte er eine Haßliebe zu ihnen entwickelt. Doch die Frauen waren ihm zugetan, da er auch unendlich charmant zu ihnen sein konnte.
Diesem Charme ist auch die Ehefrau Oskar Lafontaines erlegen, die er ihm ausgespannt hat. Der Gourmet Jochen Senf hingegen wurde immer dicker, und wenn er mit dem Rennrad unterwegs war, rollte einem eine kugelförmige Tonne entgegen, und ich fragte mich, wie hält das Rad das nur aus.
Nach dem Ende Palus wurde Jochen Senf Krimiautor, erfand mit dem Kommissar Bruno ein weiteres alter Ego. Furios geschrieben waren die Romane vor allem in den Anfangskapiteln, z. B. von „Bruno weiß zu viel“, worin sich viele Aspekte der eigenen Biographie wiederfanden, so der Konflikt mit der Mutter.
Allerlei Krankheiten, Ärztefehler bei einer Leistenoperation, Herzbeschwerden setzten ihm zu, Angstzustände wurden zu Panikattacken und die schlimmste Krankheit für ihn war wohl die zunehmende Einsamkeit.
Schauspieler, Schriftsteller, auch Kinderbuchautor ist er gewesen.
Man könnte annehmen, Jochen Senf habe ein erfülltes Leben gehabt. Doch er hatte auch den Traum eines ganz anderen Lebens, das konnte ich in einigen Gesprächen mit ihm erahnen, die von seiner Schüchternheit geprägt waren. Ja die gab es auch! Nämlich: Ein wahrer bedeutender Schauspieler zu sein, nicht nur einen Tatortkommissar und nicht nur den Boulevardschauspieler zu geben, der er etwa als Senfhändler in Bachs „Spanische Fliege“ auch war, sondern einer, der die große Rollen auf die Brettern der Welt mit Leben füllt, nicht nur Autor von Kriminalromanen, sondern Verfasser eines bedeutenden Werks der Literatur. Doch:
„Was ich haben will, das krieg ich nicht, und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht“ (auch Fehlfarben).
Ein Freispiel wird es nicht mehr geben.

 © 2018 Jörg Aufenanger