Die lebensgefährliche Schlacht ums Erbe

„The Death of Stalin“ von Armando Iannucci

von Renate Wagner

The Death of Stalin
(Frankreich/GB 2017)

Regie: Armando Iannucci
Mit: Steve Buscemi, Simon Russell Beale, Michael Palin, Jason Isaacs, Andrea Riseborough, Olga Kurylenko, Adrian McLoughlin u.a.
 
Politische Satire ist erlaubt, wenn sie auch nicht jedermann behagen wird. Man kann sich vorstellen, daß Putins Rußland dem Diktator Stalin nicht übertrieben kritisch gegenüber steht. Und die Veräppelung der Nachfolger-Suche nach seinem Tod kann dem heutigen Staat nur unwürdig erscheinen. Mit dem Effekt, daß „The Death of Stalin“ in Rußland nicht gezeigt werden darf (man nannte den Film „niederträchtig, abstoßend und beleidigend“). Im übrigen muß man sich wohl keine übertriebene Sorge machen, daß der Film im Westen ein übergroßer Erfolg werden könnte. Dazu ist er, kurz gesagt, zu konfus…
 
Zu Beginn lebt Stalin (Adrian Mcloughlin) noch, und man bekommt an einem relativ harmlosen Beispiel (aber doch) vorgeführt, was eine Diktatur vermag. Bei Radio Moskau wird ein Konzert gesendet, die schöne Pianistin Maria Yudina (Olga Kurylenko) sitzt am Flügel, alles bestens – oder nicht. Denn Genosse Stalin hört das Konzert im Radio und läßt den Wunsch nach einer Schallplattenaufzeichnung verlauten. Sein Wunsch ist normalerweise Befehl. Bloß – man hat das Konzert nicht aufgezeichnet. In fieberhafter Eile alles noch mal, für den mittlerweile erschöpft zusammen gebrochenen Dirigenten muß ein anderer aus dem Bett geholt werden, die sture Pianistin verlangt viel Geld – aber als man dem Diktator die Platte sendet, schreibt Maria eine Botschaft dazu. Er, Stalin, habe das Land ruiniert…
Nun, ob er davon seinen Schlaganfall bekommen hat, vielmehr von dem Lachanfall angesichts des Zettels? Immerhin beginnt nun die Katastrophe. Der Diktator liegt in seiner Datscha besinnungslos da, keiner weiß, was er tun soll, eigentlich wagt es keiner, irgendetwas zu tun, aber die Herren, die in rascher Folge eintreffen, wollen alle nur eines – den Sterbenden im Rang des mächtigsten Mannes beerben. Das ist wohl überall so (selbst in jeder Firma), aber in der Sowjetunion war es lebensgefährlich. Der Eiertanz, den die Kapazunder hier aufführen, wird allerdings in dem Film des schottischen Regisseur Armando Iannucci (er schrieb auch am Drehbuch mit) vor allem vordergründig brüllend komisch angelegt… wobei die Lebensgefährlichkeit des Ganzen nie in Vergessenheit gerät.
Zuerst muß man die noch vorhandenen Ärzte der Stadt zusammenfangen, die – vom Regime entweder in Lager geschickt oder aus ihren Berufen entfernt – im Park spazieren gehen oder in ihren Wohnungen kauern, in der Hoffnung, daß möglichst niemand an sie denkt. Dutzendweise an das Krankenlager des Sterbenden gezerrt, will keiner die Verantwortung übernehmen. Aber Stalin stirbt dann am 5. März 1953 tatsächlich. Und nun muß nicht nur sein Staatsbegräbnis arrangiert werden – jetzt geht die Schlacht ums Erbe wirklich los.
 
Viele Namen der russischen Geschichte sind noch bekannt, etwa der Schlächter Beria (Simon Russell Beale), Malenkow (Jeffrey Tambor), hier als großer Zögerer dargestellt. Molotow (Michael Palin), Mikoyan (Paul Whitehouse), Bulganin (Paul Chahidi), Breschnew (Gerald Lepkowski). Alle Politiker. Georgy Schukow (Jason Isaacs) als Militär und mächtiger Chef der Roten Armee ist zum blutigen Eingreifen bereit, wer immer ihn dafür gewinnt. Eines jedoch – so richtig den Überblick zu behalten, wer eigentlich was tut, ist nicht leicht. Das war es in der Realität wohl auch nicht, aber das bedeutet nicht, daß man den Kinobesucher verwirren soll.
Das Problem des Films ist der Mann, den man am besten in Erinnerung hat: Nikita Chruschtschow. Denn dieser dickliche, äußerlich freundlich, jovial und bäuerlich wirkende Herr, der sich letztendlich an die Spitze hoch gearbeitet hat (also war er wohl nicht so freundlich, jovial und vor allem nicht naiv, sondern raffiniert), ist mit Steve Buscemi schon optisch gegen den Strich besetzt. Ein gefinkelter Intrigant, gewiß, aber kein Hauch von dem Chruschtschow, wie man ihn in Erinnerung hat.
Die beiden Stalin-Kinder sind damals noch relativ jung, Swetlana (Andrea Riseborough) war 27, ihr Bruder Wassili (Rupert Friend) 32, und beide ärgern die Politiker, die mit ihren Intrigen beschäftigt sind, durch zickiges Auftreten und die Behauptung, ihr Vater sei ermordet worden (was der Film nicht einmal als Möglichkeit andeutet). Ermordet werden allerorts Zeugen – alles geht zu schnell, um immer völlig durch zu sehen, wer letale Befehle gibt. Machtspiel folgt auf Machtspiel, Bündnisse werden unter der Hand geschlossen, die Hektik, das Chaos werden immer größer.
Es gibt – wie Molotow – noch echte Stalinisten, die an den Diktator und sein System geglaubt haben, aber die meisten sind Opportunisten, nach der Macht hechelnd. So versucht Beria Chruschtschow auszutricksen, indem er ihm die Organisation von Stalins Begräbnis auferlegt, was zu arbeitsaufwendig ist, um viel anderes zu tun. Aber, wie man weiß, Chruschtschow ließ sich keinesfalls aushebeln und machte mit Beria kurzen Prozeß (die Szene der Ermordung im winterlichen Hof ist von exzessiver Grausamkeit). Daß Swetlana ein Flugticket nach Wien annahm, hat ihr wohl das Leben gerettet.
 
„Lustig und wahr“ nannte der Regisseur seinen Film. Wahr möglicherweise. Lustig? Nein. Wenn einer der Beteiligten sagt: „Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wer noch lebt und wer tot ist“, kann man ja nur tief durchatmen.
 
 
 
Renate Wagner