Der moderne Wiederaufbau einer zerstörten Hauptstadt

Henriette Heischkel – „Bauen in West-Berlin 1949-1963“

von Frank Becker

Titelfoto © Mila Hacke
Bauen in West-Berlin 1949-1963
 
Kulturbauten, Universitäten und U-­Bahnhöfe der Nachkriegsmoderne
Die Rolle der Bauverwaltung im Spannungsfeld von Kunst und Politik
 
Wer das Nachkriegs-West-Berlin aus eigener Anschauung kennt und jüngst im ZDF die beiden großartig ausgestatteten und mit Original-Bildern angereicherten Dreiteiler „Kudamm 56“ und „Kudamm 59“ gesehen hat, hat ein Bild davon im Kopf, wie nach Kriegsende die fast völlig zerstörte Stadt mit unglaublicher Energie wieder aufgebaut wurde. Wir sprechen hier allerdings ausschließlich von der Insel West-Berlin, denn der als „Hauptstadt der DDR“ apostrophierte Ostteil blieb jahrzehntelang ein architektonisches Flickwerk im „real existierenden Sozialismus“. Dort setzte man in erster Linie auf die Konstruktion einer sozialistischen Gesellschaft, während im kapitalistisch orientierten West-Berlin wirtschaftliche und soziale Interessen im Mittelpunkt standen. Daß allerdings auch - und wenig bekannt - politische Einflußnahmen die Entwicklung der West-Berliner Nachkriegs-Architektur bestimmt haben, belegt jetzt Henriette Heischkel in ihrem sorgfältig recherchierten Standard-Werk „Bauen in West-Berlin 1949-1963“, das im Berliner Gebr. Mann Verlag erschienen ist.
 
Aus dem Verlagstext: „Hinter vielen öffentlichen Bauten, die das Lebensgefühl West-Berlins maßgeblich mitprägten – wie dem Kulturforum, dem Amerika-Haus, den Universitätsbauten und zahlreichen U-Bahnhöfen –, steht das Wirken von Architektenpersönlichkeiten aus der Senatsbauverwaltung. Diese sind der Öffentlichkeit kaum namentlich bekannt. Das Buch legt erstmals die Organisation der Behörde dar und untersucht die baupolitische Ausrichtung des Wiederaufbaus von West-Berlin. Wie die Politik Einfluß auf die Arbeit der Architekten nahm, wird anhand der Planungsgeschichte ausgewählter Bauten verdeutlicht. Der Anspruch, daß Berlin in der Zukunft wieder gesamtdeutsche Hauptstadt werden sollte, kennzeichnete den Wiederaufbau West-Berlins in der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Mauerbau.“

Zu einem Wahrzeichen der West-Berliner Nachkriegs-Architektur wurde die Verkehrskanzel
von Werner Düttmann, Werner Klenke und Bruno Grimmek am an der Ecke Kurfürstendamm/Joachimsthaler Straße (Joachimsthaler Platz, gegenüber Café Kranzler) mit Kiosk und U-Bahn-Zugang, deren Bild folgerichtig den Buchdeckel ziert und der im Zusammenhang mit dem U-Bahn-Kreuzungs-Bahnhof Kurfürstendamm im Innenteil des Buches einige Seiten gewidmet sind. Anhand von Bau-Unterlagen, Senatsprotokollen, Schriftverkehr, Entwürfen und Bau-Wettbewerbs-Unterlagen geht das mit Illustrationen durchflochtene, keineswegs „trockene“ Buch sehr genau der Planung und Verwirklichung von Kulturbauten, Universitäten und U-­Bahnhöfen sowie ihrer politischen wie architektonischen Väter auf den Grund. Erwähnt seien hier neben verschiedenen U-Bahnhöfen beispielhaft nur das Amerika-Haus, die Freie Universität, die Technische Universität, das Messegelände am Funkturm / Masurenallee, das Museum Dahlem, die Hansaschule und die Philharmonie. Für Architektur- und Stadt-Historiker erschließt sich hier eine unverzichtbare Quelle.
 
Ein wertvolles, umfangreiches, detailliertes Personenverzeichnis und Quellenangaben am Schluß sowie 16 farbige Fotoseiten (die zahlreichen Fotos, Skizzen und Bauzeichnungen im Text sind s/w gehalten) runden die erste und einzige Untersuchung zur Nachkriegs-Architekturgeschichte West-Berlins, der leider ein Straßen- und Stichwortverzeichnis fehlt..
 
Die Autorin Henriette Heischkel studierte Kunstwissenschaft, Neuere Geschichte und Soziologie in Berlin an der Technischen Universität und an der Humboldt-Universität. Die Architektur der Nachkriegsmoderne ist ihr Forschungsschwerpunkt.
 
Henriette Heischkel – „Bauen in West-Berlin 1949-1963“
Die Rolle der Bauverwaltung im Spannungsfeld von Kunst und Politik
Forschungen zur Nachkriegsmoderne des Fachgebietes Kunstgeschichte am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin - Herausgegeben von Adrian von Buttlar und Kerstin Wittmann-Englert
© 2018 Dietrich Reimer Verlag / Gebr. Mann Verlag, 336 Seiten, gebunden, 17×24 cm, mit 104 s/w- und 29 Farbabbildungen - ISBN 978-3-7861-2793-2
49,- € (D)
 
Weitere Informationen: www.reimer-mann-verlag.de