Mehr Frankenstein als Feminismus

Mädchen in Not. Stück von Anne Lepper in Wuppertal

von Martin Hagemeyer

Julia Reznik (Mitte) - Foto © Uwe Schinkel

Mehr Frankenstein als Feminismus
 
Mädchen in Not. Stück von Anne Lepper.
 
 
Inszenierung: Peter Wallgram - Ausstattung: Sandra Linde – Dramaturgie: Barbara Noth –  Visuals: Jörg Schütze – Regieassistenz: Kristin Trosits - Fotos: Uwe Schinkel
Besetzung: Baby: Julia Reznik – Dolly: Lena Vogt – Puppe/Franz: Konstantin Rickert – Puppe/Jack: Martin Petschan – Duran-Duran: Miko Greza – Gesellschaft der Freunde des Verbrechens: Frauke Altenberg, Mirel Alexandru Caspa, Nadine Funk, Vincent Krafft, Julia Regnath, Sebastian Schön, Lara Sondern, Hannah M. Usemann, Britta Wenzel
 
Das Schauspiel Wuppertal münzt Anne Leppers Stück auf Künstlichkeit
 
„Mit einer Puppe kann man doch die Realität nicht reproduzieren.“ - „Ich will auch gar nicht die Realität reproduzieren!“ So kontert Hauptfigur „Baby“ zickig, und auch hier könnte man das Grundthema von „Mädchen in Not“ finden. Zwar bietet Anne Leppers Stück sich an als Groteske über weibliche Emanzipation, in letzter, blutiger Konsequenz. Aber Peter Wallgrams Inszenierung wirkt anders, der Gewinner der Mülheimer „Stücke 2017“ – als Kommentar zu Künstlichkeit und ihren Tücken.
Zunächst ist da die Geschichte, die den weiblichen Kampf um Autonomie logisch fort- und auf Abwege führt: Die junge Baby (Julia Reznik, schön quenglig angelegt) hat genug von all den Zumutungen für moderne Frauen und lenkt ihre Gunst auf männliche Puppen (Martin Petschan und Konstantin Rickert). „Duran-Duran“ (Miko Greza) hilft, eine Figur zwischen Magier und Transformator – doch auch als Dummies liebt Baby die beiden nicht. Das Ganze endet tödlich für Freundin Dolly (Lena Vogt) und ihr Baby, und die Männer stehen blöd da: Allzu ergeben haben sie mitgespielt.
Eine schräge Geschichte. Sie taugt freilich auch als mißglücktes Experiment, gewissermaßen Frankenstein mit umgekehrter Pointe: Eine Neuschöpfung verläuft nicht nach Plan. Hier allerdings nicht weil das Monster zu wild würde, sondern, ganz im Gegenteil: Weil es zu langweilig wird. Schnell ist man dann weg vom Feminismus und generell bei Fragen um echt und unecht, um Imitation und virtuelle Realität. Allgemein kulturkritisch, wenn man will.

 
 Lena Vogt, Miko Greza - Foto © Uwe Schinkel
 
In der Wuppertaler Inszenierung (der ersten nach der Uraufführung) bietet diese Sicht sich an: Sandra Linde hat mit Bühnenbild und Kostümen eine futuristische Kunstwelt geschaffen. In blauem Retromuster erhebt sich ein zweistöckiger Aufbau mit Stufen und abstrakten Elementen. Unten agiert auch die „Gesellschaft der Freunde des Verbrechens“, die in Wuppertal toll gelöst ist: Sechs Laiendarsteller(innen) meistern im Kollektiv enorme Aufgaben, und ihr zackiges Spiel mit viel Text fügt sich in die prägnante Gesamtoptik. Die „visuals“ genannten Projektionen von Jörg Schütze zeigen kafkaesk ein Schloß - halb Kulisse, halb Utopie, aber gleichfalls nicht ganz von dieser Welt. Dazu die eingespielte Musik, Hits wie „Material Girl“ und „Take On Me“. Die viele Technik kann man übrigens finden, wie man will: Wer mit Film auf der Bühne hartnäckig fremdelt, hat dann immerhin den Ertrag, daß so alles noch künstlicher wirkt.

 
v.l.: Julia Reznik, Konstantin Rickert, Lena Vogt - Foto © Uwe Schinkel
 
Die Versuchung ist groß, sich als Zuschauer so seine eigene Lesart zu suchen. Denn ganz überspringen mochte der Funke bei der Premiere nicht, und das lag wohl just an der einheitlichen Ästhetik, mit der Bühne und Spiel die Handlung überziehen. Videos und Musik scheinen ständig präsent, und der entrückte Effekt bleibt gefühlt die ganze Zeit. Die Schauspieler übernehmen darin witzig die typischen Moves aus Computerspielen, „Zang!“ und „Klong!“ vom Band tun akustisch ein übriges. Das ist alles stimmig, Stichwort „künstlich“ – aber dadurch vereinnahmt es auch; dramatische Schwenks drohen aus dem Blick zu fallen.
Auch die Komik krankt etwas an diesem Problem. „Immer muß ich sie zunähen!“, grummelt Baby über den Dummy aus Stoff und ätzt eigentlich frech über passive Kerle: „Die Puppe ist einfach zu echt: Sie tut nichts!“ Bis hin zu Babys Kehrtwende. Da schließt Duran-Duran onkelhaft: „Echte Männer sind etwas ganz Feines“, und sie nickt selig: „Das sind sie, das sind sie.“ Bei all der Begleitmusik mag untergehen: Meinte sie bis dahin nicht das Gegenteil? Immerhin setzte sie auf mechanische Monster.
 
Weitere Informationen:  www.wuppertaler-buehnen.de