Nackte Tatsachen - Baden in Ost und West

Eine Ausstellung in den Römerthermen Zülpich – Museum der Badekultur

von Rainer K. Wick


Nackte Tatsachen

Baden in Ost und West
 
Kleinstadt mit römischem Erbe
 
Zülpich ist eine Ortschaft von circa 20.000 Einwohnern, gelegen in der Voreifel in ungefähr 40 Kilometern Entfernung südwestlich von Köln. Obwohl schon lange besiedelt, bevor die Römer kamen, erlangte der Ort in römischer Zeit unter dem Namen Tolbiacum eine gewisse Bedeutung, kreuzten sich hier doch mehrere Fernstraßen, so etwa die Verbindung von Trier nach Köln mit der aus dem Osten von Bonn und der aus dem Norden von Xanten kommenden Straße. Das römische Zülpich hatte den Charakter einer kleinstädtischen, durch Handwerk und Handel geprägten Siedlung und repräsentierte den seinerzeit in Niedergermanien verbreiteten Typus eines sog. Vicus. Von der zivilisatorischen Höhe dieser römischen Siedlungen zeugt eine Thermenanlage, die als eine der am besten erhaltenen nördlich der Alpen gilt. Im Jahr 1929 waren Arbeiter beim Bau einer städtischen Kanalisation auf die Reste der antiken Anlage gestoßen, die bis 1936 zu großen Teilen freigelegt wurde. 1978 begannen weitere Grabungen, deren Ergebnisse den Entschluß reifen ließen, diesen archäologisch bedeutsamen Ort in den Neubau eines thematischen „Museums der Badekultur“ zu integrieren.


Foto: Römerthermen Zülpich © Nadine Michels
 
Von der Römerzeit zur Gegenwart
 
Errichtet wurde der Bau nach Entwürfen des Zülpicher Architekten Markus Ernst, übrigens einem entfernten Verwandten des aus Brühl stammenden Dadaisten und Surrealisten Max Ernst. Vor zehn Jahren, 2008, wurde das neue, architektonisch strenge Gebäude als „Römerthermen Zülpich – Museum der Badekultur“ eröffnet, seither erfreut es sich beim Publikum anhaltender Beliebtheit. Die Hauptattraktion des Museums sind die baulichen Überreste der römischen Thermenanlage, die in der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. errichtet und bis zum 4. Jahrhundert mehrfach umgebaut wurde. Die Raumfolge entspricht dem im römischen Badewesen üblichen Schema: Heißwasserbad (Caldarium), Lauwasserbad (Tepidarium) und Kaltwasserbad (Frigidarium). Durch ein unterirdisches Heizsystem wurden nicht nur die Lau- und Heißwasserbecken auf die gewünschte Temperatur gebracht, sondern auch die auf Ziegelpfeilern und -säulen ruhenden Fußböden erwärmt (Hypokausten). Das alles, ergänzt durch Fundstücke, die die alltägliche Badekultur im Römischen Reich dokumentieren, läßt sich in Zülpich ebenso anschaulich erfahren wie die Geschichte des europäischen Badewesens vom Mittelalter bis in die Gegenwart, die im Obergeschoß des Museums nachvollziehbar wird. Ein separater Raum dient der Präsentation von Sonderausstellungen. Derzeit zeigt das Museum unter dem etwas reißerischen Titel „Nackte Tatsachen“ Einblicke in die Badekultur nach 1949 in beiden deutschen Staaten. Das ist ein reizvolles Thema, das neugierig macht. Konzipiert ist die Ausstellung im Sinne eines Systemvergleichs, der auf die Darstellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zielt. Für ein geschichtsvergessenes älteres oder ein gar unwissendes jüngeres Publikum rufen zunächst kurze Texte auf den Treppenhauswänden historische Eckdaten der alten Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik in Erinnerung, bevor der Besucher einen längsrechteckigen Raum betritt, in dem das Thema in mehreren Kapiteln abgehandelt wird.


DDR-Badezimmer Rekonstruktion - Foto © Rainer K. Wick
 
Das Badezimmer in zwei deutschen Staaten
 
Einen Schwerpunkt der Präsentation bildet dabei das Badezimmer – seine Gestaltung und Einrichtung wie auch die dort benutzten Gerätschaften (etwa Rasierer und Fön), Hygiene- und Kosmetikartikel (Seife, Hautcreme und anderes) und Putzmittel, die in Vitrinen präsentiert werden und direkte Vergleiche zwischen DDR- und BRD-Produkten erlauben. Deutlich wird, daß sich die äußere Erscheinung der Erzeugnisse in Einzelfällen stark ähneln konnte, nicht zuletzt, weil man sich im Osten an Vorbildern des kapitalistischen Nachbarn orientierte. Die meisten DDR-Erzeugnisse sprechen allerdings eine eher anspruchslose Produktsprache, die der Ressourcenknappheit und Mangelwirtschaft des Landes geschuldet war. Dies gilt auch für das durchschnittliche Badezimmer in der Deutschen Demokratischen Republik. Das Zülpicher Museum zeigt eine idealtypische Rekonstruktion mit geblümten Fliesen, grauen Plastikarmaturen und einem NVA-Handtuch auf dem Trockner. Derart kleinbürgerlich anmutende Badezimmer gab es in ähnlicher Form freilich auch in der alten Bundesrepublik, und wenn die nach der Wende in Thüringen geborene Kuratorin der Ausstellung, Theresa Zöller, in der Begleitbroschüre meint, im Westen Deutschlands sei die Ausstattung der Bäder von Stardesignern wie Luigi Colani, Dieter Sieger, Matteo Thun und anderen dominiert worden, hat diese Einschätzung mit den alltäglichen Realitäten kaum etwas zu tun. Überhaupt hätte es sich empfohlen, die Katalogtexte stilistisch und inhaltlich lektorieren und terminologische Ungereimtheiten beheben zu lassen. So werden, um nur ein Beispiel herauszugreifen, die von der Autorin zur Kennzeichnung verschiedener Badezimmertypen in der BRD verwendeten Begriffe „klassizistisch“, „funktionell-schlicht“ und „modern“ an keiner Stelle näher bestimmt und trennscharf voneinander abgegrenzt und lassen den Leser folglich ratlos kopfschüttelnd zurück.

 
 Badewannen-Werbung BRD 1970er © Kaldewei
 
Bademode und Freikörperkultur
 
Exemplarisch ausgewählte Exponate zeigen, daß die Badebekleidung in der DDR im Hinblick auf Material und Design mit der Bademode in Westdeutschland kaum konkurrieren konnte und extravagante Modelle, möglicherweise sogar mit einem gewissen Sexappeal, die Ausnahme von der Regel blieben. Angesichts eines fehlenden oder mangelhaften Warenangebots schneiderten manche Frauen in der Deutschen Demokratischen Republik ihre Badeanzüge sogar selbst. Sofern DDR-Bürger nicht die öffentlichen Schwimmbäder frequentierten, sondern an Seen, Flüssen oder an den langen Sandstränden der Ostsee badeten, verzichteten sie vielfach gänzlich auf Badehose und Badeanzug und frönten der historisch bis in die Zeit der Lebensreform um 1900 zurückreichenden Freikörperkultur. Obwohl in Ostdeutschland in den frühen 1950er Jahren FKK von der SED als „Ausdrucksform imperialistischer Dekadenz“ diskreditiert und 1954 offiziell untersagt wurde, ließ sich von staatlicher Seite die Praxis des „wilden“ Nacktbadens letztlich nicht unterdrücken. Schon 1956 wurde das FKK-Verbot aufgeboben, und ohne Vereinsmeierei (allerdings unter Beachtung spezifischer moralischer Standards und Verhaltensregeln) entwickelte sich die Freikörperkultur in der DDR zu einer populären Massenbewegung. Innerhalb eines repressiven politischen Systems schufen sich die Bürger damit eine Nische der Freiheit und einen Ort der individuellen Selbstverwirklichung. Abgesehen davon, daß der Naturismus in organisierter Form schon in der jungen BRD praktiziert werden konnte, galt er in der Adenauerära doch als unziemlich. Erst mit der Jugend- und Studentenrevolte der 1968er Jahre erlangte die Freikörperkultur auch in der Bundesrepublik Deutschland eine gewisse Breitenwirkung. Sie stand im Zusammenhang mit der seinerzeit auf breiter Front propagierten sexuellen Emanzipation, Sylt wurde zum Paradies der der Nudisten und große Reiseveranstalter wie Touropa, Scharnow, Neckermann und andere stiegen bald in den FKK-Tourismus ein, der sich nun jenseits der organisierten Vereinsaktivitäten des „Deutschen Bundes für Freikörperkultur“ (DFK) entwickelte.

 
FKK nach der Wende - Foto: Bundesarchiv © Benno Bartocha
 
Fazit
 
Das alles in einer kleinen Ausstellung auf einer Fläche von ca. 150 m2 angemessen darzustellen, ist ohne Frage keine leichte Aufgabe. Leider gelingt der erwartete Systemvergleich nur ansatzweise. So hätte man sich etwa neben dem DDR-Badezimmer ein prototypisches Pendant aus der alten Bundesrepublik gewünscht oder neben ostdeutscher Badebekleidung auch Beispiele für die Strandmode aus der BRD. Und anstatt die den Ausstellungraum in Längsrichtung teilende graue Mauer – Anspielung auf die fast drei Jahrzehnte deutscher Spaltung – mit Graffiti und Parolen zu verschwenden, hätten diese Flächen sehr gut genutzt werden können, um die annoncierten „Nackten Tatsachen“ mit einschlägigem Fotomaterial aus der Geschichte der Freikörperkultur in beiden deutschen Staaten zu visualisieren. Einige Aufsteller in Gestalt unbekleideter Damen und Herren, die ihre Blößen mit Fotos von FKK-Badenden verdecken, vermögen dem Anspruch der Ausstellung dagegen kaum gerecht zu werden. Ein spannendes Projekt, eine nur zum Teil überzeugende Umsetzung.

 
 Scheuermittel und Seifen aus der DDR - Foto © Rainer K. Wick
 

Römerthermen Zülpich – Museum der Badekultur
Andreas-Broicher-Platz 1 - 53909 Zülpich
Di-Fr 10.00-17.00 Uhr, Sa-So 11.00-18.00 Uhr
Info-Tel. 02252-838060
 
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Redaktion: Frank Becker