Das war wieder so ein Tag

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Das war wieder so ein Tag
 
Das war wieder so ein Tag - also holst du dir gleich Pommes ab und willst dich damit vor den Fernseher knallen, um bei irgendeinem Kackfilm abzuschalten, da lärmt das Telefon »lidllit lidllit« und du denkst, da kannst du doch abnehmen, wahrscheinlich ist es Sha­ron Stone und sie fühlt sich einsam. Was Männer halt so denken, wenn sie mit einer Portion Pommes und zehn Bierdosen vor dem Fernseher hängen und Filme sehen, in denen Dinge gesagt werden wie: Ich kann mich nicht gut ausdrücken, sagte der Pickel und spritzte von dannen, Filme also, die so bescheuert sind, daß man nur noch schreien kann, und dann klingelt also das Telefon und du hebst ab, und dann ist es doch wieder Mutter. Du willst schon sa­gen: »Mutter, ich ruf' später zurück, sonst werden meine Pommes kalt«, als sie dir brühwarm erzählt, sie habe gerade Papa erschos­sen. Da kann man schlecht sagen: »Mutter, ich rufe später zurück, sonst werden meine Pommes kalt.«
Wenn die eigene Mutter den Papa umgenietet hat, ist das schon eines der Ereignisse im Leben, die einem als Sohn nicht so oft pas­sieren. Darauf kannst du einen lassen. Da fragt man sich dann schon, und was wird nun aus unserer Doppelkopfrunde? Und dann erzählt dir Mutter alles haarklein, vergißt auch nicht den Punkt auf dem i, geschweige denn die Stelle, wo Papa noch gelacht hatte, und du denkst, das kann doch alles nicht wahr sein, und im Fernsehen siehst du gerade einen Mann am Telefon stöhnen, und vor ihm stehen Pommes und dampfen nicht mehr, und du denkst, das bin doch ich, und dann fällt dir wieder ein, daß du bei Big Brother bist und nur vergessen hast, daß jeder Pups von einem mitgefilmt wird. Und um nicht wahnsinnig zu werden, knallst du deiner Mut­ter in die Leitung, daß sie gar nicht deine Mutter ist und du dich damals nur in ihren Kinderwagen geschlichen hast, weil du dach­test, sie wäre die einzige Tochter vom GOLD-Meier, dem größten Protz der Stadt, und nicht die siebte Heulsuse vom armen Schlucker Meier, die jede Mark fünfmal umdreht und heimlich deine gebrauchte Zahnseide benutzt und einen lieber von weitem anschreit, als etwas gegen ihren bestialischen Mundgeruch zu tun, was Papa auch letztendlich dazu bewogen hat, nur noch telefonisch mit ihr zu verkehren. Du denkst plötzlich, daß jetzt vor Papa noch deine Pommes kalt geworden sind, und dann legst du auf: Sohn keiner Mutter, Vollwaise, und du hast keinen Hunger mehr - das war wieder so ein Tag!
 
 
© Erwin Grosche
Veröffentlichung aus „Lob der Provinz“ in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung