Einschnitte

Katrine Engberg – „Krokodilwächter“

von Frank Becker

                           Cover: Philipp Keel
Einschnitte
 
Mordermittlungen in Kopenhagen
und entlang des Strandvej
 
Jeppe Kørner und Anette Werner von der Kopenhagener Mordkommission sind ein erfahrenes und gut eingespieltes Ermittler-Duo. Mit dem ebenso grausamen wie rätselhaften Mord an der hübschen Julie Stender allerdings stoßen sie auf ein Verbrechen, das sie und ihr effektiv arbeitendes Ermittler-Team an die Grenzen ihrer fachlichen und physischen, aber gelegentlich auch psychischen Belastbarkeit bringt.
Julie Stender lebte noch nicht sehr lange als Mieterin einer hübschen Wohnung in Kopenhagen, die sie mit ihrer Freundin Caroline teilte. Sie war aus dem jütischen Sørvad, nahe bei Herning in die Hauptstadt gezogen, um Literatur zu studieren und hatte in ihrer Vermieterin, der emeritierten Professorin und hoffnungsvollen Krimi-Autorin Esther de Laurenti eine mütterliche Freundin gefunden. Wer um Himmels willen sollte einen Grund haben, das junge Mädchen zu erstechen und ihr rätselhafte Schnitte zuzufügen? Und was könnte das Motiv sein? Daß der Täter, es ist klar, daß es ein Mann sein muß, ein seelisch schwer gestörter Mensch sein muß, liegt auf der Hand – spätestens, als ein zweiter, ebenso absurder Mord geschieht. Der ähnelt verblüffend dem in Oliver Buslaus „Die Tote vom Johannisberg“, dem ebenfalls Erstling von Oliver Buslau (2000), den Katrine Engberg aber mit Sicherheit nicht gekannt haben wird. Einzelheiten verrate ich hier nicht, das würde die Rätsel durchsichtiger machen.
 
Esther de Laurenti hat schnell begriffen, daß das Skript ihres neuen Romans, das sie über das Internet mit anderen Autoren bespricht, als Blaupause für den Mord an Julie gedient hat, denn der Täter hat sich fast buchstabengenau an die Romanvorlage gehalten. Weil aber nicht nur sie, sondern auch viele andere Beteiligte mit ihrem Wissen gegenüber der Kripo hinter dem Berg halten, behindert die Arbeit der Polizei erheblich – und ermöglicht den zweiten Mord. Auch daß der Täter offenbar sehr genau über den Ermittlungsstand der Polizei Bescheid weiß, wirft Fragen auf, die letztlich zum Schlüssel werden.
Rätsel, überraschende Wendungen, ein vielfältiges Personal, etliche Verdächtige und verwirrende Handlungsfäden hat Katrine Engberg in Fülle eingebaut. Das Privatleben der beiden zentralen Polizisten spielt durchaus eine Rolle, ist aber nicht allzu breit ausgewalzt wie es heute so beliebt ist. Jeppes Affäre mit Anna ist dank ihrer realistischen Beschreibung wohl jedem männlichen Leser nachvollziehbar.
 
Katrine Engberg erzählt in „Krokodillevogteren“, ihrem ersten Kriminalroman, der den Start einer neuen Reihe von Kopenhagen-Krimis markiert, eine Woche Ermittlungsarbeit im heißen Kopenhagener Sommer (und bis zum färingischen Tórshavn) – vom 8. bis zum 14. August. Wer Kopenhagen und das östliche Nordsjælland entlang des berühmten Strandvej kennt, wird sich Schritt auf Tritt an der Seite der Kriminalpolizisten wiederfinden. Orts- und Lebensbeschreibungen Dänemarks und seiner Gesellschaft fangen die Wirklichkeit ein, während das Mordgeschehen und seine Vorgeschichte(n) aus der etwas überkonstruierten Phantasie der Autorin gespeist sind, leider auch oft benutzte Romanklischees wie Mißbrauch und Heimkindheit als Motivgrundlage – gelegentlich drängt sich der gedankliche Vergleich mit Romanen Jussi Adler Olsens auf. Dennoch hat Katrine Engberg ihr eigene Sprache gefunden und auch der aufmerksame Leser ahnt erst spät, wer der Mörder ist. Doch Katrine Engberg stößt ihn schließlich deutlich darauf – um einen neuen Spannungseffekt einzubauen, die atemlose Jagd nach dem dann bekannten Täter.
 
„Krokodilwächter“ ist trotz der geübten Kritik ein durchaus lesenswerter, flüssig geschriebener, packender Thriller, der raffiniert eine endgültige Aufklärung aller Umstände und die eines dritten Mordes offen läßt. Das sympathische Ermittler-Team möchte man gerne wiedersehen/-lesen.
 
Katrine Engberg – „Krokodilwächter“
Ein Kopenhagen-Thriller
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
© 2018 Diogenes Verlag, 504 Seiten, Ganzleinen mit Schutzumschlag – ISBN: 978-3-257-07028-6
22,-  € (D) / 30,- sFr * / 22,70 € (A)
Weitere Informationen:  www.diogenes.ch