Nicaragua 2018

Kurzer Bericht einer Reise im Februar 2018

von Hermann Schulz

Hermann Schulz - Foto  Frank Becker
Nicaragua 2018

Kurzer Bericht einer Reise im Februar 2018
 
Von Hermann Schulz
 
Das Goethe-Institut Mexico, zuständig auch für die zentralamerikanischen Staaten, konnte erst wenige Wochen vor Reisebeginn entscheiden, ob es die geplante Reise mitfinanzieren würde. Anlaß des Besuches im Februar war das Erscheinen der spanischen Ausgabe des Buches „Die Reise nach Ägypten“ (El Viaje a Egypto; deutsch dtv/hanser) von Hermann Schulz und dem Illustrator Tobias Krejtschi, übersetzt von Luis Kliche.
Ich hatte der Verlegerin Salvadora Navas (Ediciones Anamá, Managua) vor einem Jahr versprochen, zum Erscheinen nach Nicaragua zu kommen; dieses Versprechen würde ich auf jeden Fall einhalten.
Viel besser war natürlich die Begleitung von Tobias, mit dem ich vor Jahren schon  das gemeinsame Buch „Die schlaue Mama Sambona“ gemacht hatte; als weiterer Begleiter, willkommener Kenner des Landes und erfahrenen Übersetzer, war mein Freund seit Jahrzehnten Lutz Kliche an unserer Seite. Nach seiner Abreise am 15. Februar übernahm sein Sohn Luis Kliche die Lesungen Spanisch und notwendigen Übersetzungen.
Untergebracht waren wir in der fabelhaft preiswerten und angenehmen Posada de Valerio.
Abends am 8.2. Ankunft im Hotel, Besuch der Verlegerin Salvadora Navas und ihrem Sohn Luis K., dann sogleich am folgenden Morgen um 6.45 Uhr bei Carlos Fernando Chamorro, dem Sohn des am 10. Januar 1979 ermordeten Verlegers Fernando Chamorro, im Fernsehstudio; eine halbe Stunde über das Buch „El Viaje a Egypto“ und die geplante Vorstellung im Rahmen von „Festival de Poesía Internacionál“ in Granada sowie Vorschau auf unseren workshop, ebenfalls in Granada in der „Casa de los tres mundos“. Dieses Kulturzentrum wurde von Dietmar Schönherr und Ernesto Cardenal  vor über dreißig Jahren begründet und wird von unserer Organisation ‚pan y arte‘ wesentlich getragen.
 
Anschließend statten wir der Stiftung „Libros para Niños” einen Besuch ab, wo wir ein ausführliches Gespräch mit der Verlagsleiterin Gabriela Tellería führten.
Frühstück bei der komplett anwesenden befreundeten Familie von William Agudelo (wir konnten ihm für 1.5 Jahre seine Medikamente mitbringen).
Am Abend des 9. Februar Einladung zu Luz Marina Acosta, rechte Hand und Sekretärin von Ernesto Cardenal. Er selbst war trotz seines hohen Alters anwesend, ebenso Sergio Ramírez (Premio Cervantes) mit Frau Tulita, Gioconda Belli mit ihrem Mann Carlos, William Agudelo mit Frau Teresita, Bosco Centeno mit Frau aus Solentiname und viele andere; eine Versammlung alter Freunde aus fast 50 Jahren Nicaragua-Kontakten.
Am Samstag um 6.45 am Liveauftritt bei Danilo Lacayo im Fernsehen. Zentrale Themen: Mein Engagement in der Solidaritätsbewegung und Ausblick auf die Vorstellung des Buches am 13. Februar.
Anschließend fuhren wir nach Granada zum Workshop zu „Kinder- und Jugendliteratur“ in der „Casa“. Den ersten Teil über die Entstehung von Texten für Kinder, die Rolle von Erleben, Phantasie, Unterhaltung und Humor, bestritten Lutz und ich gemeinsam; den zweiten Teil mit umfangreichen Bild-Demonstrationen übernahm Tobias Krejtschi. Es wurde dann wirklich ein workshop, viel diskutiert und Erfahrungen ausgetauscht, illustriert und geschrieben bis zum Abend. Das Interesse am Thema „Illustration“ war enorm. Leider konnten die Möglichkeiten für Dialog und Vortrag mit einem Tag bei diesem hoch interessierten Publikum nicht ausreichend ausgeschöpft werden.
Am Abend Einladung von Dieter Stadler, dem Leiter der „Casa“, in ein Restaurant.
In seinem Haus und auf dem großen Platz vor der „Casa“ fanden dann auch die meisten Vorstellungen und Poesie-Lesungen statt. Auf dem Weg dorthin begrüßte uns der Musiker und Komponist Luis Enrique Mejía Godoy, dessen Konzert wir nur am Rande miterleben konnten.
Zu dieser (ersten) Vorstellung im großen Saal des Hotels Darío waren weit über 100 Menschen gekommen; zu meiner Freude auch Mitglieder der Familie des verstorbenen Arztes und Dichtes Fernando Silva (eine der Hauptpersonen des Buches; ihm war in diesem Jahr das Poesie-Festival gewidmet). Auch waren zwei Brüder von Ernesto Cardenal gekommen. Der nicht nur in Lateinamerika gefeierte Dichter las einen neuen poetischen Text, dann stellten wir das Buch vor.
Gioconda Belli moderierte die Veranstaltung. Drei Damen aus dem Verlag Anamá und die Verlegerin selbst besorgten Verkauf und Beratungen. Es folgte das Abendessen mit Ernesto Cardenal und einigen Freunden.
Gemeinsam besuchten wir am nächsten Tag die nicaraguanisch-deutsche Bibliothek „Bert Brecht“, die von pan y arte begründet wurde, und sprachen mit den verantwortlichen Mitarbeitern.
Am 15. Februar Lesung Deutsch-Spanisch in der Deutschen Schule. Es zeigte sich beim Lesen der deutschen Fassung, dass nicht alle Schüler folgen konnten; spontan hat dann Luis den spanischen Part gelesen. Nach einer kurzen Mittagspause absolvierte Tobias zwei Stunden zum Thema Illustration, unter reger Beteiligung vor allem weiblicher Schüler.
Am nächsten Morgen Besuch im Museum, herzlich begrüßt von Juanita Bermudez, der Leiterin (früher Sekretärin von Vizepräsident Sergio Ramírez); es gab gerade eine Ausstellung von Bildern und Fotos aus dem Leben von Frida Kahlo.
Lange Anreise in den Norden nach Matagalpa, der Partnerstadt von Wuppertal.
Die Vorstellung und Lesung sollte im großen Saal des Rathauses stattfinden. Ich wurde zuerst begrüßt von Jackeline Lisette Rueda Morales, mit der ich vor vielen Jahren ein erstes Kinderbuch („Jackeline – Ein Mädchen aus Nicaragua“) gemacht hatte. Von dieser alten Freundschaft erzählte sie vor dem Publikum, überreichte eine Urkunde für mein Engagement für die Städtepartnerschaft. Anwesend waren die Verantwortlichen für diese Städtepartnerschaft, ebenso der Oberbürgermeister Sadrach Zeledón Rocha, der Grüße an den OB in Wuppertal (Andreas Mucke) übermittelte.
Auch hier vor vollem Saal herzliche Begrüßung!
Nach der Lesung wurde uns ein echt nicaraguanisches Konzert in einem Privathaus geboten: sieben sehr alte Männer (wie aus einem Film von Fellini) spielten und sangen Nord-nicaraguanische Musik, dazu gab es reichlich Pizza und Rum.
Übernachtung im Hotel in Matagalpa.
Zwei Höhepunkte am vorletzten Tag, dem 18. Februar: Vorstellung des Buches in der Universität (UAM). Wir wurden herzlich vom Direktor Ernesto Medina Sandino begrüßt, der in Göttingen studiert hatte und den ich aus den Anfängen der Solidaritätsarbeit mit Nicaragua kannte.
Abends im Haus von José Argüello Lacayo, wo wir Cardenal, Ramírez und Frau, Agudelos sowie Juanita und viele andere wiedersahen.
Den letzten Abend verbrachten wir bei Juan Agudelo und seiner Frau Monika und ihren vier Kindern; er ist Architekt und Bauunternehmer.
 
Eindrücke:
In Nicaragua Bücher zu verlegen und zu verkaufen, ist nicht vergleichbar mit unserem Buchmarkt: Kalkulation, Druck und Vertrieb stellt unsere Verlegerin und andere vor enorme Probleme, die nur durch Kreativität, Einfallsreichtum und mit Hilfe eines großen Netzwerkes zu lösen sind. Die Arbeit von Salvadora Navas ist wahrlich bewundernswert!
Optisch nahmen wir die Städte Managua, Matagalpa und Granada völlig anders wahr als vor vier Jahren: Die Straßen überall im Land sind in gutem Zustand, Autos halten sogar, wenn die Ampeln Rot zeigen!, überall neue Bauten von (nationalen und internationalen) Firmen und Banken, das Ufer des Managua-Sees ist jetzt eine Freizeitlandschaft (benannt nach Salvador Allende) mit vielen Restaurants und Spielplätzen. Das Stadtbild von Managua allerdings verunstaltet (Geschmackssache!) von eisernen Bäumen in unterschiedlichen Farben, die abends beleuchtet sind; offenbar eine verrückte Idee der umstrittenen Vizepräsidentin Rosario Murillo (die mir nach der erfolgreichen Revolution beim ersten Wiedersehen 1980 zuflüsterte: „Du bist der erste Mann in meinem Leben, der mir Blumen geschenkt hat!“ Die Blumen waren mein Dank für viel Organisationshilfe 1969 bei meinem ersten Besuch in N., als sie als Sekretärin bei „La Prensa“ bei Pablo Antonio Cuadra arbeitete).
Vom Nicaragua-Kanal-Projekt spricht niemand mehr. Der Tourismus mit aufsteigender Tendenz; das Land gilt als sicher (im Gegensatz zu Mexico o.a.); es ist Geld im Land, es wird investiert und wohl auch exportiert! Zugleich lesen wir die Nachricht, dass Nicaragua zu den korruptesten Ländern der Welt gehört, dass die ‚Frauenmorde immer brutaler werden‘ und dass die Regierung Schritt für Schritt die demokratischen Strukturen auszuhebeln versucht.
Ob etwas von dem neuen Wohlstand auch bei den Armen des Landes ankommt, können wir nach den wenigen Tagen nicht wirklich beurteilen. Auch andere Fragen bleiben offen: In den letzten Jahren hat das Land Öl aus Venezuela zu Dumpingpreisen bekommen. Davon kann jetzt keine Rede mehr sein, denn Venezuela steckt bekanntermaßen in einer erheblichen Krise. Über die Schulden aus solchen Lieferungen war nichts zu erfahren.
Die zahlreichen Plakate überall zeigen den (umstrittenen) Präsidenten Daniel Ortega mit seiner Frau Rosario Murillo. „Das Vaterland schreitet mit Gott nach vorn!“ Unsere Freundin Gioconda Belli nannte das Regime des Ehepaars eine „sanfte Diktatur“. Ihr geht es ‚um Ausbau und Machterhalt der Familie Ortega/Murillo und ihren Kindern‘ (Transparency International).
 
Der Ertrag dieser Reise für uns war die Begegnung mit vielen (alten und neuen) Freunden, die regierungs-unabhängige lebendige Kulturarbeit, vor allem der Literatur, das vitale Leben in der ‚Casa de los tres mundos‘, die unerschrockene Presse und dass die unglaubliche Freundlichkeit, der Humor, und die Aufgeschlossenheit der Menschen, gleich wo, unverändert ist.
 
© 2018 Hermann Schulz