Seh-Reise (18)

Achtzehnte Ausfahrt: Asger Jorn

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Frank Becker
Michael Zeller: Seh-Reise (18)
 
Mit Bildern durch das Jahr
 
18. Ausfahrt: Asger Jorn

Es muß in den achtziger Jahren gewesen sein, meiner Erinnerung nach, als ich häufiger in München zu tun hatte. Dabei versuchte ich immer die Museen dort zu besuchen und aktuelle Ausstellungen zu sehen. Seit kurzem war ein neuer Kunstraum dazugekommen, in der Theatinerstraße: die Zentrale der Hypobank. Ein Plakat mit starken Farben und Figuren zog mich an, die sich einem sofortigen Verstehen verweigerten. Den Namen des Malers hatte ich noch nie gehört: Asger Jorn. Warum sollte ich der Münchener Hypo keinen Kredit einräumen?
Und sah dann Bilder, deren Art ich bis heute nicht vergessen habe , auch wenn ich von ihrem Schöpfer immer noch kaum mehr weiß, als daß er, wie sein Name verrät, von Geburt Skandinavier war und längere Zeit in München gelebt hat. Vielleicht war damals auch das Bild „Der Mond und die Tiere“ dabei, das mich durch diese Woche an der Küchenwand begleitet hat. Daß dem Mann offenbar auch der Schalk im Nacken gesessen haben muß, war nicht mehr in meiner Erinnerung. Oder war mir das entgangen?
 
Zwei Tiere füllen die Fläche vor einem nächtlich grauen bis schwarzen Grund. Rechts oben in die Ecke gequetscht eine kleine Scheibe auf meiner Kunstkarte, winziger als eine Zehn Cent-Münze. So wie Kinder den Mond malen: gelb und rund.
Aber die beiden Tiere, die haben es in sich! Weißgrundig vor dem Dunkel der Nacht, plan gemalt, ohne perspektivische Tiefe. Links, das größere, auf dem Drittel der Malfläche, ein weißliches Schnabeltier. Ja, es besteht fast nur aus seinem mächtig breiten Schnabel. Die Grenze zwischen Ober- und Unterschnabel wächst sich aus zu einem Fisch, dessen schwarzes Auge zugleich dem Vogel als Auge dient. Dort, wo das Gehirn seinen Platz hätte, scheint ein quallenartiges Etwas durch - ein Lurch im fötalen Stadium? Die obere Umrißlinie dieses sonderbaren Vogels bildet seine Wirbelsäule. Die einzelnen Wirbel sind gut zu erkennen, von der Spitze des Schnabels über den Rücken bis zum Sitz des Tieres, auf lächerlich spinösen Froschschenkeln. Viel zu winzig für den Rumpf dieses Fabeltiers.


Rechts von ihm, weit weniger dominant, ein Eulenvogel. Große weiße runde Augen, die schwarzen Pupillen aus dem Bild herausgedreht. Drumherum das Gesicht, frontal, geteilt in zwei helle Farben. Mittendrin der Schnabel, ein Tupfer Rot und Blau und Braun und Gelb, einfach so, und schmales flaches Mündchen.
Nah hocken sie aneinander, die beiden Vogelwesen, ohne Notiz voneinander zu nehmen, getrennt durch eine opake Zone von Schwarz, schwärzer als die Nacht um sie. Es könnte sich dabei um die Federhaube der Eule handeln. Das Schwarz greift aus auf den Schnabelvogel und schmiegt sich an seine milchig weißen Schenkel. Der Kontrast ist hart.
Nein, diese beiden Vögel sind in keinem ornithologischen Handbuch zu finden. Geträumt sind sie, in einem Spiel erfunden, dessen Regeln wir nicht kennen und auch gar nicht kennen wollen. So wie wir eben manchmal vor uns hinfabeln (oder kritzeln), verantwortungsfrei, jenseits jeder Erklärung. Kinder malen so, bevor sie in die Schule kommen und den rechten Winkel lernen. Und wir freuen uns daran, an diesen Ausgeburten unserer Phantasie, ehe Fachwissenschaftler, jede Sorte von Psychologen voran, sich darüber beugen und uns mit ihren hirnschweren Ausdeutungen wieder auf Vordermann zu bringen suchen. Spielverderberische Agenten von Vernunft und Funktionalität, die unser Leben beherrschen wollen.
 
„Der Mond und die Tiere“ – Kunsttheoretiker, Kritiker und Professoren an die Front, damit der Boden unter unseren Füßen fest bleibt wie Beton!
 
Asger Jorn, Der Mond und die Tiere, 1950


Redaktion: Frank Becker